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Eine Geschichte aus meinen Indienberichten 2009

R. Niggemann
R. Niggemann schrieb am 09.02.2010

 

Nur eine Familie von vielen … oder … das Schicksal des kleinen Suraj

Als wir am 3.Februar nach 31 stündiger Reise im Kinderdorf Ashagram begrüßt wurden, hatten W.G. und ich zunächst nur „unsere“ Kinder im Blick. „Unsere“ Kinder das waren 54 Mädchen und Jungen zwischen 5 und 16 Jahren – Waisen, Halbwaisen und Sozialwaisen – umsorgt von 5 Pflegemüttern.

Die Begeisterung der Kinder, ihren „Onkel“ und ihre „Tante“ wieder zu sehen war riesig und mit viel Elan und auch dem nötigen Spaß an der Sache, halfen sie uns mit, das Gelände am neuen Kinderhaus in einen schönen Spiel- und Blumengarten zu verwandeln. Wie im Flug vergingen so die ersten 12 Tage mit unserer Gartenarbeit und dem Einleben in den Kinderdorfalltag. Und dann … kam Kripa zurück …

Kripa, ein blindes Mädchen, ist ein Sonderfall in Ashagram – nicht nur wegen ihrer Krankheit. Als ich sie 2005 kennen lernte, war ich zunächst erstaunt, dass man Kripa aufgenommen hatte, denn das damals 6jährige Kind hat noch Vater und Mutter. Doch schnell erfuhr ich den Grund. Da war zum einen die große Armut der Familie und neben zwei gesunden Kindern hatte die Mutter außer Kripa nochmals ein blindes Kind zur Welt gebracht. So kam Kripa zur Entlastung der überforderten Eltern und zu ihrem eigenen Wohl nach Ashagram. Nach einiger Zeit wurde sie in ein Blindeninternat eingeschult so dass sie nun hauptsächlich die Ferien im Kinderdorf verbringt.

Als sie nun in diesem Jahr an Windpocken erkrankte, konnte sie weder in der Blindenschule bleiben, noch wollte man im Kinderdorf ein Risiko für die anderen Kinder eingehen, also verbrachte das Mädchen einige Zeit in der Obhut seiner Mutter. Es war Sonntag der 15.Februar als die Mutter Kripa nach Ashagram zurück brachte. Wir freuten uns, sie so gesund wieder zu sehen und fragten, wie das eben so üblich ist, nach den anderen Familienmitgliedern. Ja und dann … glaubten wir unseren Ohren nicht zu trauen …

Der kleine blinde Bruder sei krank, übersetzte unsere Pflegemutter Kishori, und dies schon eine ganze Zeit lang. Was er denn habe? Tja, Durchfall eben und ganz schwache sei er jetzt. Ob sie ihm dann auch hoffentlich reichlich zu trinken gäbe - ganz wichtig - und was der Arzt denn sage? Für einen Arzt, kam die Antwort hätten sie kein Geld, trinken wolle der Kleine kaum noch und essen auch nicht. Er läge meist kraftlos auf seiner Matte.

Sie vermuten jetzt, es hätte Verzweiflung auf ihrem Gesicht gelegen? Nein – Menschen mit ihrem Schicksal erzählen so etwas mit ruhiger Miene, und das kleine schmerzliche Lächeln auf ihrem Gesicht ließ eine Mischung aus Resignation und Schicksalsergebenheit ahnen.

„Ob sie unsere Hilfe annehmen darf? „Kishori, frag sie, ob sie ihr Kind zum Krankenhaus bringen wird, wenn wir die Kosten übernehmen.“ Antwort – auch wenn ihr Mann es erlaubt, wird es schwierig. Der Weg aus der Teeplantage heraus zur Hauptstrasse dauert zu Fuß mindestens eine Stunde, dann kommt noch die Busfahrt zum Hospital dazu. Ob sie dass mit dem Jungen auf dem Arm schaffen kann?

Unsere Gedanken sprudelten im Eiltempo! Wir fackelten nicht lange! Unser Angebot – fahr nach Hause- frag deinen Mann – gib uns Bescheid (meistens hat irgendwer im Dorf ein Mobil) – dann holen wir euch morgen mit einem Mietauto ab!

Als Kishori uns abends mit einem Lächeln entgegen kam atmeten wir auf - wir durften helfen.

Pünktlich am Morgen fuhren wir los, über holprige, lehmige Pfade rumpelte der Jeep durch die Teefelder und kam zu den einfachen Lehmhütten, eine kleine Ansiedlung mitten in der Teeplantage. Hier lernten wir den kleinen Suraj kennen, blass und apathisch – wir sahen zum ersten Mal seinen Vater, mit unbewegtem Gesicht und sichtbar verunsichert. Ohne erkennbare emotionale Regungen unterschrieb er uns ein Dokument, mit dem er sein Einverständnis zur ärztlichen Behandlung seines Sohnes gab

Die Ärztin in Gayaganga vermutete akuten Eiweißmangel und schwerste Blutarmut. Die Tests bestätigten später die Diagnose. Sofort erhielt Suraj Mittel gegen den Durchfall, spezielle Eiweißgetränke und Vitamine, dann musste er unter Qualen und Tränen die Blutabnahme über sich ergehen lassen. Spindeldürr waren seine Ärmchen, die Adern kaum zu finden, Blut kaum zu bekommen. Am nächsten Abend stand fest, Medikamente können nicht mehr helfen, der Junge braucht eine Blutübertragung.

Alles kein Problem? Das ist aber sehr deutsch gedacht! Dass jetzt eine Menge Arbeit auf uns zukam hatten wir nicht vermutet. Als wir am Mittwochmorgen zum Hospital fuhren, hatten wir gedacht, man brauche nur noch unser Okay wegen der Kosten. Aber nein! In Indien haben die Angehörigen das Blut zu besorgen.

Wie das funktioniert? Man sucht zunächst unter Verwandten und Nachbarn jemanden mit der richtigen Blutgruppe, der kommt und spendet Blut, das Blut wird getestet, der Patient bekommt das Blut verabreicht, alles bestens! Einfach? Nicht in unserem Fall!

Mit der Blutgruppe AB hatte Suraj  eine recht seltene Sorte geerbt, und seine Eltern konnten wir als Spender gleich ausschließen, sie waren selbst nicht gesund. Den ganzen Tag suchten wir nach möglichen Spendern telefonierten mit befreundeten Priestern und fragten im Dorf Gayaganga herum. Ergebnis – die Zusage einer Blutspende von Pater Felix, der aber erst am Freitag verfügbar sein würde und der Tip, es doch mal bei der Blutbank in der nächsten Stadt, in Siliguri, zu versuchen.

Nach Rücksprache mit der Krankenschwester und der Aussage, Suraj ginge es immer schlechter und das Blut werde so bald wie möglich gebraucht, entschieden wir uns für die Fahrt zur Blutbank. Im Labor erhielten wir ein Empfehlungsschreiben des Hospitals, das uns den Blutkauf erlaubte und der arme Suraj musste unter erneuten Qualen das benötigte Blut für die Kreuzprobe geben.

Im Wartesaal der Blutbank vom Lionsclub warteten etliche Angehörige anderer Kranker und eine Tafel an der Wand zeigte die aktuell verfügbaren Konserven an:

A= 43x   B= 62x  O= 1x  AB= keine.

Oh Gott! Großes Palaver mit dem Mann an der Rezeption und unser bengalischer Begleiter stellte unsere Geduld außerordentlich auf die Probe. Es dauerte etliche Minuten, bis er uns übersetzten konnte, was er da ausgehandelt hatte. Gott sei Dank – gerade war eine Konserve in AB gespendet worden, musste aber noch getestet werden. Wer von uns denn im Gegenzug sein Blut spenden würde?

Ja – richtig gehört -  Blut gegen Blut! Dazu kommen dann noch die Gebühren für die Tests. Eigentlich ja gar kein schlechtes System, stellt es doch den Nachschub an Blut stets sicher. Wir kamen allerdings ungepiekst davon. Die Blutgruppe B unseres Begleiters war nicht gefragt, mein eigenes Blut kam wegen einer chronischen Erkrankung nicht in Frage. So zahlten wir einen satten Aufpreis und bekamen unsere Konserve ohne Tausch. Zum Glück war auch die Kreuzprobe mit dem Blut von Suraj in Ordnung! Geschafft!

Suraj hat sich dann schnell erholt und blühte in den Wochen, in denen er täglich ein Proteingetränk bekam regelrecht auf. Glücklich spielte er auf der kleinen Trommel, die wir ihm geschenkt hatten und lächelte den Tönen hinterher, die ab und zu wie eine kleine Melodie aus ihm heraus sprudelten.

Es war eine bewegende Erfahrung, dieser Familie zur Seite stehen zu können und wir sind dankbar für das Geld, dass uns Gemeindemitglieder spontan mitgegeben hatten mit den Worten:

„Setzt es dort ein, wo euch Not begegnet …..“