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„Mit dir habe ich nichts mehr zu besprechen!“

G. Müller
G. Müller schrieb am 07.10.2020

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Leser*innen,

Heute möchte ich wieder einmal ausführlicher über die therapeutische Arbeit SEKAs berichten.
Der folgende Bericht ist ein Beispiel für SEKAs Arbeit mit Frauen, die familiäre Gewalt erleiden. Viele Hilfen, die in Deutschland selbstverständlich sind (z.B die rasche und unbürokratische Aufnahme in einem Frauenhaus, Anspruch auf Sozialhilfe oder Sozialwohnungen…), gibt es in Bosnien-Herzegowina nicht oder nur sehr eingeschränkt. Häufig kommen außerdem die zuständigen Institutionen wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte ihren gesetzlichen Verpflichtungen gemäß der Instanbuler Konvention nicht oder nur ungenügend nach. Auch die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen ist oft schwierig, da es teilweise keine Sensibilität bzgl. des Problems Gewalt in der Familie gibt.
Aus diesem Grund engagiert sich SEKA seit 2017 in besonderem Maße für die Durchsetzung der Standards der Istanbuler Konvention im Kanton Goražde, für die Sensibilisierung und Fortbildung der Kolleg*innen aus den Institutionen, eine gute Koordination der Zusammenarbeit, sowie intensive Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, durch die wir strukturelle Verbesserungen erreichen wollen. In zwei Jahren haben wir schon deutliche Verbesserungen erreicht.
Wie notwendig SEKAs Engagement auf diesem Gebiet ist, macht die Geschichte von Elvedina H. (Name geändert) deutlich.


Treffen des Koordinationsteams "Gewalt in der Familie"


Sensibel und engagiert!
Im Februar 2017 meldete sich die Angestellte einer Goražder Bankfiliale, Amira S. (Name geändert), im SEKA-Zentrum und bat um Hilfe für eine Kundin.
Sie schilderte die Situation. Einmal monatlich kam die Kundin Elvedina H. in die Bank, um sich ihre kleine Witwenrente auszahlen zu lassen. Stets wurde sie von ihrem Lebensgefährten begleitet, der ihr nicht von der Seite wich. Amira beobachtete, dass Elvedina von Mal zu Mal schlechter aussah; sie hatte den Eindruck, dass der Lebensgefährte, Omer G. (Name geändert) Druck auf Elvedina ausübte.
Sie rief Elvedina unter einem Vorwand alleine in ihr Büro und fragte sie direkt, ob es irgendwelche Probleme gebe, ob sie evtl. Hilfe brauche.
Elvedina brach in Tränen aus. Sie erzählte Amira, das sie große Probleme mit Omer G., ihrem Lebensgefährten, habe; Amira erfuhr, dass dieser Elvedina schlug, ihr ihre gesamte Rente wegnahm, sie ständig kontrollierte, ihr keinen Kontakt zu anderen erlaubte, insbesondere nicht zu ihren Geschwistern, die in Goražde lebten. Das Mobiltelefon, das sie von ihrem Bruder bekommen hatte, hatte er ihr weggenommen.
Einige Male war es Elvedina gelungen, zu ihrem Bruder, bzw. zu ihrer Schwester zu fliehen. Aber als einige Stunden später Omer vor der Tür stand und randalierte und die Familien ihrer Geschwister bedrohte, war sie wieder mit ihm zurückgegangen, um ihren Geschwistern keine Probleme zu machen.
Amira schlug vor, zur Polizei zu gehen. Das wehrte Elvedina panisch ab. Die Nachbarfamilie hatte wohl einmal die Polizei gerufen. Die Beamten hatten damals aber nur kurz gemeinsam mit Elvedina und Omer geredet. Da sie keine sichtbaren Verletzungen hatte, hatten die Polizisten Omer nur ermahnt, in Zukunft weniger zu trinken. Zu Elvedina sagten sie wohl, sie solle „ihn nicht provozieren, wenn er betrunken sei“. Dann gingen sie wieder.
Danach hatte Omer seine geballte Aggression an ihr ausgelassen. Außerdem bedrohte er die Nachbarn. Aus Angst, dass er der Nachbarfamilie etwas antun würde, zog sich Elvedina immer mehr zurück. Sie erduldete seine Gewaltausbrüche, sie wusste keinen Ausweg.
Elvedina sagte zu Amira, sie habe weder Vertrauen in die Polizei noch in die Sozialen Dienste. Sie habe Angst, dass es „ dann noch schlimmer wird“.
Amira schlug vor, dass sich Elvedina an das SEKA-Zentrum wenden könnte, wo Frauen in einer solchen Situation Hilfe bekämen. In SEKA gäbe es Vertraulichkeit. Elvedina entgegnete, dass Omer sie nirgendwo hinlassen würde. Sie wisse auch nicht, wie sie vom Dorf alleine in die Stadt kommen solle. Amira schlug vor, dass sie selbst sich an SEKA wenden und um Hilfe für Elvedina bitten könnte. Elvedina willigte ein. 

Kontakt herstellen
Amira kontaktierte mich und wir besprachen, wie wir es Elvedina ermöglichen könnten, zu SEKA Kontakt aufzunehmen.  Amira übergab Elvedina bei deren nächstem Besuch in der Bank ein Handy mit unseren Kontaktnummern, das wir für solche Situationen bereithalten. Es dauerte einige Tage, bis sich Elvedina bei mir melden konnte. In unserem kurzen Telefonat wurde deutlich, dass die Situation für sie unerträglich war, Omer sie täglich terrorisierte und misshandelte, dass sie da raus und unsere Hilfe annehmen wollte.
Wie sie die Situation schilderte, war sie offensichtlich in Goražde nicht sicher. Sie meinte, von ihren Geschwistern könne sie keine Hilfe mehr erwarten, weil Omer sie dort sofort finden würde. Die Geschwister seien auch verärgert, weil sie sich mit Omer eingelassen habe und mehrfach zu ihm zurückgekehrt sei.
Ich erklärte ihr, dass wir sie durch Polizei und Soziale Dienste aus dieser Situation herausholen und sie in ein Frauenhaus in einer anderen Stadt bringen könnten, wo sie in Sicherheit wäre und auch Unterstützung bekäme, ihr Leben neu zu organisieren. Die Vorstellung des Frauenhauses in einer anderen Stadt, bzw. dass wir Polizei und Soziale Dienste dazu einbeziehen müssten, erschreckte sie zunächst. Ich äußerte Verständnis, das dies für sie ein großer Schritt sei, aber sagte ihr auch, dass ich ihre Schilderungen sehr ernst nähme und sie ja selbst sagte, dass sie in Goražde nicht vor Omer sicher sei.
Wir vereinbarten, dass sie überlegen würde, ob sie zu diesem Schritt bereit sei und sich wieder bei mir melden würde. Ich würde diese Aktion dann mit den Institutionen organisieren. Sie stimmte zu.
Nach dem Gespräch kontaktierte ich das Frauenhaus in T., mit dem wir eine sehr gute Zusammenarbeit haben. Glücklicherweise hatten sie Platz und waren bereit, unsere Klientin auch ohne Kostenzusage des Kantons (die häufig lange auf sich warten lässt) aufzunehmen. Dann bereitete ich gemeinsam mit Azra Z., der zuständige Kollegin beim Zentrum für Sozialarbeit, und den zuständigen Kollegen bei der Polizei den Einsatz vor. Zunächst mussten wir beim Kommandanten der Polizeidienststelle Überzeugungsarbeit leisten, dass dieser Einsatz „wirklich nötig sei“. Azra bekam die Einwilligung des Direktors der Sozialen Dienste, dass sie die Klientin mit dem Auto des Zentrums nach T. bringen könne.
Wir warteten nun auf Elvedinas Anruf. Es vergingen zwei Tage, ohne dass sie sich meldete. Am Nachmittag des zweiten Tages vereinbarte ich mit Azra und den Polizisten, dass wir nicht mehr länger warten würden, sondern den Einsatz am frühen Morgen des nächsten Tages durchführen würden, da Elvedina sich vermutlich nicht melden konnte und die Gefahr bestand, dass die Situation eskalierte. 

Die Aktion
Früh am nächsten Morgen holte zunächst eine Polizeistreife Omer aus dem Haus „zu einer Befragung“, wie ihm mitgeteilt wurde. Danach fuhren Azra Z. und ich zum Dorf. Elvedina erwartete uns schon. Es war ihr klar, dass ich diesen Polizeieinsatz veranlasst hatte. Aufgeregt erzählte sie uns, dass Omer vor zwei Tagen betrunken gestürzt sei und sich am Bein verletzt habe. Deswegen sei er die ganze Zeit zu Hause geblieben. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, mich anzurufen. Ich fragte sie, ob sie sich entschieden habe, ins Frauenhaus nach T. zu gehen. Wenn sie bereit sei, würde Azra Z. sie jetzt dorthin bringen. „Jetzt gleich?“ fragte Elvedina überrascht. „Die letzten zwei Tage hat Omer mich nicht geschlagen, er hat auch kaum etwas getrunken. Es kommt mir irgendwie unfair vor, dass ich ihn jetzt trotzdem verlasse!“
Ich sagte ihr, dass es natürlich ihre Entscheidung sei, aber dass sie mir noch vor drei Tagen gesagt habe, dass die Situation für sie unerträglich sei, dass sie weg wolle, weg müsse, dass sie um ihr Leben fürchte... und dass sie in Goražde nicht vor Omer sicher sei. Ich erinnerte sie, dass die Gewalt schon viele Jahre andauerte... Azra schlug ihr vor, dass sie ja erst einmal nur die wichtigsten Dinge einpacken könne und dass sie sie nach T. in Sicherheit bringen würde. Dort im Frauenhaus könne sie dann in Ruhe und ohne Angst überlegen, wie es weitergehen solle. Das Team im Frauenhaus würde sie dabei unterstützen.
Elvedina überlegte... Dann nickte sie „Ich gehe! Und ich will alle meine Sachen mitnehmen; denn dann will ich nie wieder hierher zurückkommen!“
Wir halfen ihr, ihre Kleider und wenigen Besitztümer einzupacken und im Auto der Sozialen Dienste zu verstauen. In diesem Moment kam die Nachbarin aus dem Nebenhaus. „Gut, dass Sie gekommen sind!“ meinte sie zu Azra und mir. Und zu Elvedina: „Komm nie wieder zu ihm zurück – in diese Hölle! Hörst du!? Ich wünsche dir alles, alles Gute! Gib auf dich acht!“ Weinend umarmten sich die beiden Frauen.
Elvedina bat mich, ihre Geschwister anzurufen, um ihnen zu sagen, dass sie Omer verlassen habe und dass sie sich keine Sorgen machen sollten. Sie bat mich auch, den Polizisten zu sagen, dass sie ihre Geschwister vor Omer schützen sollten. Das betonte sie mehrfach. Sie machte sich Sorgen, dass er sie dort suchen und die Geschwister und deren Familien terrorisieren würde. Es war offensichtlich, dass sie sich um alle anderen größere Sorgen machte als um sich selbst!
Da sie keinerlei Geld hatte, gab ich ihr von SEKA einen Umschlag mit 100 Bosnischen Mark, als Nothilfe. Dann fuhren sie ab.
Am Abend teilte mir Azra mit, dass soweit alles gut geklappt habe, die Frauenhausmitarbeiterinnen Elvedina gut aufgenommen hätten. Die nächsten zwei Wochen (so die Regel des Frauenhauses) dürfe Elvedina niemanden kontaktieren, damit sie erst mal zur Ruhe käme.
Wie versprochen informierte ich Elvedinas Geschwister, die eher zurückhaltend und skeptisch reagierten – sie glaubten nicht, dass Elvedina sich wirklich von Omer trennen würde, waren ziemlich wütend auf sie, „dass sie sich auf so einen Trunkenbold eingelassen habe“ und fürchteten nun selbst zur Zielscheibe für Omers Aggression zu werden. Ich besprach mit ihnen, dass sie beim kleinsten Vorkommnis sofort die Polizei rufen sollten. Mit den Kollegen bei der Polizei vereinbarte ich, dass sie den Schutz der Familien gewährleisten müsste, was sie mir versprachen.
Sie hatten Omer zu der Anzeige bzgl. „Gewalt in der Familie“ (die Azra als Mitarbeiterin der Sozialen Dienste gemacht hatte) vernommen, ihn verwarnt und dann nach Hause entlassen. Er hatte bestritten, Elvedina geschlagen zu haben, sie hätten sich nur gestritten und daran sei Elvedinas Familie schuld, „die wollen einen „Keil zwischen uns treiben“. Die Polizeibeamten meinten, dass sie die Aussage des Opfers bräuchten, um die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Azra und ich erklärten, dass Elvedina erst mal zur Ruhe kommen müsse. Dann erst würde sie entscheiden, ob sie eine Aussage, bzw. Anzeige machen würde. 


Austauschtreffen zum Thema "Best Practice" mit Polizeikolleg*innen aus T.


Ein letzter Versuch….
Während der nächsten Wochen hielt Azra weiter Kontakt mit den Kolleginnen des Frauenhauses und auch mit Elvedina. Diese hatte dort Beratungsgespräche mit einer Sozialarbeiterin, Termine mit einer Psychologin und nahm an einer Gruppe teil. Offensichtlich war sie hin und hergerissen zwischen Gefühlen der Erleichterung, Angst vor der Zukunft und Schuldgefühlen, dass sie Omer so „Knall auf Fall verlassen“ habe.
Nach den zwei Wochen Kontaktsperre rief Elvedina selbst Omer an, um ihm zu erklären, warum sie ihn verlassen habe. Danach rief er sie täglich mehrfach an, beteuerte, dass er aufhöre zu trinken, wenn sie zurückkomme, dass er sie liebe, sie brauche, er weinte sogar, erinnerte sie „an unsere guten Zeiten“, und drohte dann wieder, dass er sich umbringen würde, wenn sie ihn im Stich ließe, dass sie dann schuld wäre, schimpfte über ihre Geschwister, dass die an allem schuld seien…
Wie mir Elvedina später erzählte, verblasste in dieser Zeit die Erinnerung an die erlebte Gewalt…. Gleichzeitig wollte sie Omers Beteuerungen so gerne glauben… „Es gab ja gute Zeiten mit ihm, da war er wirklich sehr fürsorglich…“ Außerdem machte ihr die Zukunft Angst… in T., einer für sie fremden Stadt… Sie vermisste auch ihre Geschwister. Schließlich entschied sie, „es noch einmal zu versuchen“.
Nach ca. acht Wochen im Frauenhaus kehrte sie Anfang Mai 2017 wieder zu Omer zurück.
Die Kolleginnen des Frauenhauses rieten ihr nachdrücklich, gemeinsam mit Omer zur Beratung zu gehen, um zukünftige Gewalt zu verhindern. Sie informierten auch Azra und mich über Elvedinas Rückkehr.
Nur ein einziges Mal gelang es Elvedina, Omer zu einem Termin bei Azra zu überreden. Doch auch bei diesem Termin bemerkte Azra, dass sich Elvedina offensichtlich nicht getraut hatte, ihm zu sagen, dass sie damals selbst um Hilfe gebeten hatte. Sie ließ ihn in dem Glauben, die Nachbarn hätten die Polizei informiert.
Beide betonten, dass jetzt „alles in Ordnung“ sei, es „keinen Streit mehr“ gebe… Azra erwiderte, es sei ja nicht um Streit gegangen sondern um Gewalt! Sie könne und wolle da nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Sie würde immer wieder Hausbesuche machen, um zu sehen, wie Elvedina und Omer zurechtkämen. Sie empfahl ihnen außerdem, zur Beratung ins SEKA-Zentrum zu gehen, sie könnten da lernen, Konflikte konstruktiv zu lösen und Gewalt vorzubeugen. Elvedina willigte ein, Omer stimmte eher widerwillig zu.
Mehrfach vereinbarte ich telefonisch Termine, bezog auch die Kollegen des Veteranenprojekts mit ein, um auch Omer Hilfsangebote zu machen, da er ja offensichtlich schwer kriegstraumatisiert war. Omer sagte die Termine jedes Mal mit unterschiedlichen Ausreden wieder ab. Stets verlangte ich, auch mit Elvedina zu sprechen. Auf meine Frage, wie die Situation sei, versicherte sie jedes Mal, es sei „alles in Ordnung“ und beendete rasch das Gespräch. – Omer war offensichtlich in der Nähe. Jedes Mal sagte ich ihr, sie könne sich immer an mich oder Azra wenden, wenn sie Hilfe brauche. Mehr und mehr gewann ich den Eindruck, dass wieder alles beim Alten war und informierte Azra, bat sie, einen unangekündigten Hausbesuch zu machen.
Bei diesem Besuch am frühen Vormittag traf Azra Omer schon sichtlich angetrunken vor dem Haus an.
Elvedina kam sofort herbei und versicherte zitternd, dass alles in Ordnung sei. Heimlich bedeutete sie Azra, dass diese besser ginge. Azra berichtete mir diese Situation. 


Übung "Meine Lebensbereiche und Rollen"


…und ein Entschluss
Am nächsten Morgen rief ich erneut Omer an und schlug ihm einen weiteren Termin vor. Wieder verlangte ich Elvedina zu sprechen. Ich sagte ihr, dass ich von Azra wisse, wie die Situation sei. Ich wisse, dass sie jetzt nicht reden könne. Ich schlug ihr vor, dass sie, wenn sie aus dieser Situation herauswolle, in einem geeigneten Moment der Nachbarin Azras bzw. meine Telefonnummer geben und diese bitten solle, eine von uns anzurufen. Wir würden sie dann sofort mit der Polizei herausholen.
Bereits am nächsten Tag rief die Nachbarin an und bat für Elvedina um Hilfe. Azra begleitete den Polizeieinsatz. Elvedina war nun auch zu einer ausführlichen Aussage und zu einer Anzeige bei der Polizei bereit. Sie entschied sich, diesmal nicht ins Frauenhaus nach T. zu gehen, sondern in Goražde zu bleiben. Hier war ihr alles vertraut. Sie hoffte auch, allmählich wieder Kontakt zu ihren Geschwistern aufbauen zu können. Azra brachte sie in der provisorischen „Notwohnung“ für Opfer von Gewalt unter. Diese von der Stadt Goražde zur Verfügung gestellte Wohnung befand sich in einem verwahrlosten Gebäude mitten in einem sozialen Brennpunkt und war damals leider in einem desolaten Zustand. Elvedina meinte jedoch, alles sei besser als weiter bei Omer zu bleiben. Sie war überzeugt, dass sie da erst mal sicher sei, da Omer wohl dachte, sie sei wieder im Frauenhaus in T. Allerdings ging sie in den ersten Wochen nicht auf die Straße, um – in der Kleinstadt Goražde – Omer nicht zufällig zu begegnen.
Um Elvedinas Sicherheit zu gewährleisten, forderten wir die Kollegen bei der Polizei auf, ein Kontakt- und Annäherungsverbot beim Gericht zu beantragen. Der Staatsanwalt und der zuständige Richter sahen damals allerdings „keine Notwendigkeit dafür“(!) Inzwischen hat sich – durch SEKAs intensives Engagement – die Situation geändert und es werden häufiger solche Maßnahmen zum Schutz von Gewaltopfern getroffen. Elvedina hätte damals eine solche Maßnahme einigen Stress erspart und polizeiliche Sanktionen gegenüber Omer ermöglicht (s.u.).
Azra blieb für Elvedina weiter Ansprechpartnerin für alle organisatorischen und für sozialarbeiterischen Fragen. Ich selbst arbeitete auf Elvedinas Wunsch therapeutisch mit ihr – zunächst (ausnahmsweise) in der Notwohnung, später fühlte sich Elvedina sicher und stark genug, um ins SEKA-Zentrum zu kommen.

Ein traditionelles Frauenleben…
Während der ersten Termine ging es darum, eine therapeutische Beziehung aufzubauen, wenn auch Elvedina bereits ein gewisses Vertrauen in mich hatte, da ich ihr geholfen hatte, aus der Gewaltsituation zu entkommen.
Elvedina erzählte mir, dass sie 1965 in einem Dorf im Kanton Gorade geboren und sehr traditionell aufgewachsen war, dass sie mehr oder weniger in ihre (erste) Ehe hineingerutscht war, ihr Bruder hatte ihr ihren verstorbenen Mann vorgestellt. Ihren Eltern gefiel er, sie fand ihn auch ganz nett und so heiratete sie ihn. „Ich hatte Glück mit ihm“, meinte sie, „er hat nicht getrunken, mich nicht geschlagen, hatte keine anderen Frauen, war fleißig und er ließ mir auch Freiheiten. Ich konnte mich mit meinen Geschwistern treffen oder auch mit Freundinnen. Er war da großzügig. Nur mit Kindern hat es leider nicht geklappt.“ Allerdings hatte sie Probleme mit der Schwiegermutter, in deren Haus sie lebten. „Die war sehr herrisch, da hatte ich nichts zu melden! Ich war ihr nicht gut genug… Und sie warf mir vor, dass ich keine Kinder bekam…“
Als ihr Mann in den letzten Kriegstagen fiel, war das für Elvedina traumatisch. Auch für die Schwiegermutter war der Tod des einzigen Sohnes furchtbar. Sie ließ ihre Wut und Trauer um den Sohn an Elvedina aus. Elvedina konnte sich jedoch nicht vorstellen, die Schwiegermutter in dieser Situation alleine zu lassen. Ihre Witwenrente war außerdem gering. Sie hätte sich davon keine eigene Wohnung leisten können.
Auch diese schwierige Situation war vermutlich ein Grund, dass sie sich dann auf eine Beziehung mit Omer einließ.
Sie war in Goražde bei ihrer Schwester auf Besuch und begegnete ihrem früheren Schulkameraden Omer G. auf der Straße. Er lud sie zum Kaffee ein, war liebenswürdig, hilfsbereit, warb um sie. Ihre Geschwister warnten sie – er sei Alkoholiker, er habe im Krieg wohl Furchtbares durchgemacht. Danach sei er dem Alkohol verfallen und völlig heruntergekommen.
Omer selbst verheimlichte das nicht, doch er beteuerte, dass er ein Jahr zuvor im Krankenhaus einen Entzug gemacht habe und seitdem trocken sei. Er sah damals auch gepflegt aus. Er lebte von einer Invalidenrente und der kleinen Landwirtschaft, die er von seinen Eltern geerbt hatte.
Elvedina besuchte ihn, es gefiel ihr, sie liebte das Dorfleben, Garten, ein paar Tiere…
Als Omer sie fragte, ob sie zu ihm ziehen wolle, stimmte sie zu. Allerdings wollte sie ihn nicht heiraten, um ihre kleine Witwenrente nicht zu verlieren. Darüber war sie nun sehr froh: „Wenigstens diese Dummheit hab ich nicht gemacht…!“
Zunächst ging es auch fast ein Jahr gut. „Wir hatten wirklich eine gute Zeit!“ beteuerte sie, „wenn er von Anfang an so gewalttätig gewesen wäre, da wäre ich nicht geblieben! Aber es fing allmählich an…“
Nach etwa einem Jahr, begann Omer alleine wegzugehen, er traf sich „mit Kameraden aus dem Krieg“, wie er sagte. Nach einem dieser Treffen kam er schwer betrunken erst am frühen Morgen nach Hause. Elvedina erschrak, aber sie redete sich ein, dass dies eine einmalige Sache gewesen sei. Sie redete mit ihm darüber, er versprach den Alkohol sein zu lassen.
Doch es geschah wieder und wieder. Und er wurde immer aggressiver. Elvedina wagte nicht mehr, ihn wegen des Alkohols anzusprechen. Er begann, sie zu kontrollieren. „Er war auch früher schon sehr eifersüchtig! Aber nun wurde es richtig schlimm! Wenn wir zusammen in die Stadt gingen, warf er mir später stundenlang vor, ich hätte anderen Männern ‚schöne Augen gemacht‘. Es wurde immer unerträglicher. Er beleidigte und verletzte mich, nannte mich eine Hure, verbot mir, alleine wegzugehen. Auch an meinen Geschwistern ließ er kein gutes Haar.“
Dann begann Omer Elvedina auch physisch zu misshandeln. Er trank, solange er Geld hatte. Er vertrank seine und auch ihre Rente. Wenn er in der Nacht betrunken nach Hause kam, riss er sie aus dem Bett, terrorisierte und misshandelte sie stundenlang.
Wie bereits oben beschrieben, scheiterten mehrere Fluchtversuche zu ihren Geschwistern und die von den Nachbarn gerufene Polizei reagierte unangemessen und halbherzig. Danach ließ Omer erst recht seine Wut an Elvedina aus. Er drohte, wenn die Polizei noch einmal käme, „bringe ich dich und deine ganze Sippschaft um!“ Elvedina bat die Nachbarin, die Polizei nicht mehr zu rufen. Sie ergab sich in ihr Schicksal. Wenigstens wollte sie ihre Familie vor Omer schützen. Sie versuchte nicht mehr zu fliehen, sie wurde depressiv und apathisch. Sie sah keinen Ausweg mehr. Oft hoffte sie, morgens einfach nicht mehr aufzuwachen.
Einmal monatlich brachte Omer Elvedina zur Bank, um ihr dann die ausgezahlte Rente sofort wegzunehmen, er zwang sie außerdem, einen Kredit aufzunehmen, denn er ebenfalls in Alkohol umsetzte. Nur der Sensibilität und Aufmerksamkeit der Bankangestellten Amira S. war es zu verdanken, dass Elvedina einen Ausweg aus dieser Hölle finden konnte.


Erwärmungsspiel mit Luftballons


Der Weg in ein eigenständiges Leben…
In den ersten Wochen ging es in unseren Gesprächen immer wieder um Elvedinas Scham- und Schuldgefühle: „Dass mir so etwas passiert ist! Ich war doch keine junge Frau mehr!“ Elvedina konnte sich nicht verzeihen, sich auf die Beziehung mit Omer eingelassen zu haben, obwohl sie von ihren Geschwistern gewarnt worden war. Auch dass sie immer wieder zurückgegangen war, konnte sie sich nicht verzeihen.
Ich wandte die Technik der „Inneren wohlmeinenden Beobachterin“ an, um Elvedina zu helfen, Verständnis für sich in diesen Situationen aufzubringen, für ihre Bedürfnisse nach Nähe und Liebe; dafür, dass sie nicht rechtzeitig bemerkt hatte, wie sich die Dynamik in der Beziehung entwickelte. Zunächst hatte sie Omers eifersüchtiges und besitzergreifendes Verhalten als Aufmerksamkeit und Liebe interpretiert. Dies hatte auch mit ihrer traditionellen patriarchalen Erziehung zu tun: Sie war es gewohnt, dass der Mann den Ton angibt; sie hatte sehr traditionelle Vorstellungen von der Ehe; und sie hatte von klein auf gelernt, sich an die Bedürfnisse anderer anzupassen. Ihrer eigenen Bedürfnisse und Grenzen, oder auch ihrer Gefühle war sie sich kaum bewusst. Es war für sie neu, darüber nachzudenken.
Immerhin fühlte sich Elvedina inzwischen nicht mehr schuldig dafür, dass sie „Omer verlassen hatte“. Diesmal hatte sie selbst die Entscheidung getroffen!
Und sie war sich sicher damit.
Immer wieder sprachen wir über die Formen von Gewalt, die Dynamik von Gewaltbeziehungen und die schwerwiegenden Folgen von langandauernden Gewalterfahrungen. In diesen kurzen psycho-edukativen Erklärungen konnte sich Elvedina sehr gut wiederfinden. Je mehr sie sich selbst und ihr eigenes Verhalten in der Beziehung zu Omer verstand, umso mehr entlastete sie dies. Ihre Schamgefühle verschwanden allmählich. Hilfreich war dabei auch, dass sie in der Notwohnung andere Frauen kennenlernte, die wie sie Gewalt erlebt hatten und mit denen sie sich austauschen konnte. 
Nach vier Wochen, in denen Elvedina die Notwohnung nicht verlassen hatte, fühlte sie sich allmählich bereit, zumindest in der näheren Umgebung einkaufen zu gehen. Wir besprachen Strategien, wie Elvedina auf eine überraschende Begegnung mit Omer reagieren konnte. „Ich bin viel schneller als er, ich werde zuerst wegrennen und dann die Polizei rufen“, meinte sie. Wir besprachen, dass sie am besten in einen Laden, Supermarkt, oder ähnliches laufen sollte und dort auf die Polizei warten. Außerdem rief Elvedina jedes Mal, bevor sie rausging, ihre ehemalige Nachbarin (der sie vertraute) an und fragte diese, ob Omer zu Hause oder unterwegs sei. War er zu Hause, wusste sie, dass sie mindestens eine Stunde Zeit hatte, in der sie ihm nicht begegnen würde.
Allmählich wurde ihr Radius größer; sie ging nun auch ins Stadtzentrum, ins Gesundheitszentrum.
Schließlich konnte sie auch ohne Probleme zu unseren Terminen ins SEKA-Haus kommen.
Und dann geschah es, dass eine Nachbarin ihr erzählte, dass Omer sie suche; er lungere mit anderen Alkoholikern vor dem Gebäude herum und frage alle nach ihr.
Glücklicherweise hatte Elvedina zu mehreren Nachbarinnen ein gutes Verhältnis aufbauen können. Diese schützten sie nun, bestritten, dass "diese Frau" da wohne, und riefen die Polizei. Nachdem die Polizisten Omer mehrere Male mitgenommen und verhört hatten, kam er schließlich nicht mehr. Es dauerte einige Wochen, bis sich Elvedina wieder sicher fühlte und sich wieder ohne Angst aus dem Haus traute.


Arbeit mit Symbolen zum Thema "Meine Ressourcen"


Ein wiederkehrendes Thema in der Therapie war auch Elvedinas Verhältnis zu ihren Geschwistern, die sie gleich nach ihrer endgültigen Trennung von Omer kontaktiert hatte. Die reagierten zunächst misstrauisch und reserviert. Sie konnten nicht glauben, dass Elvedina dieses Mal nicht zurückgehen würde. Elvedina vermisste den Kontakt zu Schwester und Bruder, aber sie konnte auch deren Skepsis verstehen. Und sie war zuversichtlich, „dass die schon noch merken werden, dass es mir dieses Mal ernst ist!“   

Andere wichtige Themen der therapeutischen Arbeit waren die Arbeit an Elvedinas Ressourcen und an ihrer Resilienz. Es war für sie etwas völlig Neues, über ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten nachzudenken und diese zu benennen. Durch die traditionelle Erziehung hatte sie gelernt, dass man „sich nicht selbst lobt, sondern auf die Anerkennung anderer wartet und diese dann bescheiden abwehrt“.
Wir nutzten Steine, Halbedelsteine und glitzernde Glasmurmeln als Symbole. Zunächst fiel es Elvedina eher schwer, ihre inneren Ressourcen und Potentiale zu benennen. Doch indem wir ihr alltägliches Leben beleuchteten und die Art und Weise, wie sie mit ihrer aktuellen Situation zurechtkam, entdeckten wir viele Stärken und Fähigkeiten, die sie mit sichtlichem Vergnügen durch die schönen Steine repräsentierte. Sie zeichnete diese Szene dann aufs Papier und beschriftete sie, „damit ich mich daran erinnern kann, wenn ich wieder mal traurig oder mutlos bin!“

Beim nächsten Termin erzählte sie mir, dass sie sich nach der Übung mit den Ressourcen so wundervoll gefühlt habe, „als ob eine Last von mir abgefallen sei! – Ich fühlte mich wertvoll und stark! Ich musste immer wieder die Zeichnung anschauen… und weißt du – ich glaube, ich bin stolz auf mich!“
Die Ressourcenübung nutzten wir weiter – auch um Perspektiven für Elvedina zu erarbeiten.
Da sie von ihrer kleinen Witwenrente noch einige Zeit den Bankkredit abzahlen musste, konnte sie von dem restlichen Geld eigentlich gar nicht leben. Eine Berufsausbildung hatte sie nie gemacht und nur vier Klassen der Grundschule besucht. Ein regulärer Arbeitsplatz kam also nicht in Frage.
Wir erarbeiteten mehrere Möglichkeiten, wie Elvedina Geld verdienen könnte: Hilfe bei Bauern in der Landwirtschaft, bei der Ernte, Hilfe im Haushalt für kranke alte Menschen u.a.m.
Zunächst konnte sie aber keinen Job finden. Sozialhilfe gibt es in Bosnien-Herzegowina für erwachsene Alleinstehende nicht. Nur Brennholz für den Winter als einmalige Beihilfe konnte Azra Z. bei der Gemeinde für Elvedina beantragen. Die Zusage zögerte sich über Monate hin. Ich kaufte von meinen Nachbarn einige Sack Brennholz und brachte sie ihr. Das SEKA-Team sammelte im Bekanntenkreis Winterkleider, einen Mantel, Stiefel, da Elvedina nichts davon besaß. Wir brachten ihr auch immer wieder Lebensmittel.
Da der Winter sehr kalt war und Elvedina sehr sparsam heizte, wurde sie krank. Eine beidseitige Lungenentzündung wurde diagnostiziert und sie lag für zwei Wochen im Krankenhaus.
Immerhin intensivierte sich während ihres Krankenhausaufenthalts wieder der Kontakt zu ihrer Familie. Bruder und Schwester unterstützten sie mit Lebensmitteln und Brennholz. Erst nach ihrem Krankenhausaufenthalt wurde im Januar (!) die Brennholzbeihilfe bewilligt und Ende Januar geliefert.

Nach ihrer Genesung kam Elvedina wieder regelmäßig wöchentlich zur Therapie. Inzwischen sprach sie weniger über ihre Beziehung zu Omer.
Es ging nun mehr um ihre Bedürfnisse, Wünsche, Träume. Diese waren sehr bodenständig: wieder ein gutes Verhältnis zu ihrer Familie zu bekommen; einen Job finden; eine eigene Wohnung bekommen; wieder einen Garten zu haben… neue Freundinnen gewinnen.
Ein anderes Thema waren „Grenzen“, „Nein sagen lernen“ und Selbstbehauptung. An diesen Themen arbeiteten wir mithilfe kleiner Psychodramaszenen aus dem Alltag: z.B. die Vorbereitung des Besuchs bei einem Facharzt, der Elvedina bisher nie richtig zugehört hatte; die Vorbereitung des Termins bei einer potentiellen Arbeitgeberin und eine Szene beim für die Sozialwohnungen zuständigen Sachbearbeiter des Wohnungsamts, der für seine Unverschämtheit bekannt war. Die Szenen halfen Elvedina, diese Termine erfolgreich zu absolvieren. Elvedina war inzwischen sehr viel selbstbewusster. Dadurch kam auch ihr Humor zum Vorschein. 


Fortbildung im SEKA-Zentrum zum Thema "Arbeit mit Tätern"


Veränderungen…
Elvedina wusste, dass ich bald in Rente gehen und nach Deutschland zurückkehren würde. Wir hatten besprochen, dass sie dann weiter zu meiner Kollegin Mevlida Rovčanin gehen würde. Die beiden hatten sich bereits kennengelernt. 
Als es dann soweit war, fiel Elvedina der Abschied aber doch sehr schwer. Sie weinte bitterlich: „Du bist für mich einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben! Mit niemandem hab ich so offen über alles, einfach alles reden können wie mit dir! Wenn du nicht gewesen wärst, ich wäre noch heute in dieser Hölle, oder vielleicht nicht mehr am Leben! Du wirst mir so sehr fehlen!“
Ich versicherte ihr, dass Mevlida sie genauso unterstützen werde, aber dass ich ihre Gefühle gut verstehen könne! Ich versprach ihr, dass wir uns bei meinem nächsten Aufenthalt in Goražde wieder sehen könnten.
Noch sechs Monate lang kam Elvedina weiter zu Mevlida zur Therapie. Sie arbeiteten weiter an Elvedinas Lebensperspektiven. Die Beziehung zu Elvedinas Familie normalisierte sich völlig. Elvedina knüpfte neue Freundschaften – auch durch die offenen Termine im SEKA-Haus. Sie fand einen Job in der Versorgung eines alten dementen Mannes. Dadurch konnte sie den Bankkredit zurückzahlen. Und: durch ihre Hartnäckigkeit erhielt sie die Zusage für eine Sozialwohnung! 

Als wir uns nach einem Jahr in Goražde wieder sahen, konnte ich in der fröhlichen, lebenssprühenden Frau kaum mehr die Elvedina von früher erkennen; sie war selbstbewusst, kommunikativ und humorvoll. Sie erzählte mir, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte und wie zufrieden sie inzwischen mit ihrem Leben sei.
Und dann meinte sie: „Vor Omer habe ich überhaupt keine Angst mehr. Er ist mir gleichgültig. Vielleicht tut er mir ein Stück leid… aber er könnte ja auch die Hilfen annehmen, die ihm so oft angeboten worden sind!“
Dann erzählte sie mir die Situation, durch die sie sich endgültig von der Angst vor ihm befreit hatte: Sie musste zu einem Termin nach Sarajevo und wartete morgens noch vor sechs Uhr alleine im Wartehäuschen an der Bushaltestelle. Plötzlich setzte sich ein großer Mann neben sie und begann, auf sie einzureden… Es war Omer. Sie erschrak, blieb aber weiter sitzen, sagte gar nichts und versuchte, sich innerlich zu beruhigen. 
Einige Minuten später kam der Bus. Omer sagte gerade, er wolle doch nur mit ihr reden. Elvedina stand auf, sah ihm in die Augen und sagte mit fester Stimme: „Mit dir habe ich ganz sicher nichts mehr zu besprechen!“ Dann drehte sie sich um und stieg in den Bus.
„Mein Herz klopfte“, erzählte sie mir lächelnd, „aber nicht aus Angst, sondern vor Aufregung… ich fühlte eine Art Triumph! Danach hat er nie wieder versucht,  mich anzusprechen!“ 

                                                                                      Gabriele Müller



Für die therapeutische Arbeit sind wir auf Spenden angewiesen.