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April 2021: Bericht im "Der Augenarzt: prevention of avoidable blindness program in der Region Rukwa in Tansania" geschrieben von Dr. Karsten Paust (Projektleiter)

Martin  Kotula
Martin Kotula schrieb am 03.05.2021

2,2 Milliarden Menschen mit Sehbeeinträchtigungen gibt es weltweit – 36 Millionen Menschen sind blind und 217 Millionen Menschen sehbehindert. Die meisten Patienten mit Sehbehinderungen leben in den ärmsten Ländern der Welt. Der Grund dafür ist die mangelhafte medizinische Versorgung in diesen Ländern. So versorgt beispielsweise ein Augenarzt in Subsahara-Afrika statistisch gesehen knapp 1 000 000 Menschen. Zum Vergleich: In Deutschland versorgt ein Augenarzt 12 000 Patienten. 80% der Sehbehinderungen wären vermeidbar oder behandelbar – durch Aufklärung, medikamentös, chirurgisch oder ganz einfach mit einer Brille.

 Seit Jahren begleiten mich diese Zahlen bei meinen Reisen nach Afrika, so auch im Herbst 2016 während meines Aufenthaltes in Tansania. Es ist verblüffend, wie relativ und fast schon egal solche Zahlen werden, wenn einem die Einzelschicksale dahinter begegnen. Ein solches Schicksal hatte ein alter Mann. Er trug ein schmutziges Taschentuch vor seinem „guten Auge“. Das andere Auge war seit Jahren erblindet, das „gute Auge“ hatte sich vor Wochen entzündet und wurde seitdem mit Kräutern behandelt. Nun war die Hornhaut eingeschmolzen – ein verlorenes, schmerzhaftes und nun ebenfalls erblindetes Auge. Diese Situation war für mich gedanklich der Beginn des „Prevention of avoidable blindness programm“ im sehr armen Südwesten von Tansania, in der Stadt Sumbawanga, der Hauptstadt der Region Rukwa.

Das „Prevention of avoidable blindness program“ war von Anfang an ein afrikanisches, tansanisches Projekt in Kooperation mit dem Deutschen Komitee zur Verhütung von Blindheit (http://www.dkvb.org) als unterstützender deutscher Organisation. An oberster Stelle der Überlegungen stand immer der Aufbau umfassender, dauerhafter und nachhaltiger Strukturen: Ausbildung und Ausstattung von Personal, Entwicklung einer Infrastruktur bis hin zum Bau einer Augenklinik als Ort der augenmedizinischen Leistungserbringung – und all das eingebunden in lokale, regionale und nationale Strukturen entlang nationaler Gesundheitspläne und internationaler Leitlinien, wie sie von der WHO und der „International agency for the prevention of blindness“ (IAPB) https://www.iapb.org/ formuliert wurden.

26 ausgebildete Augenschwestern gewährleisten die Grundversorgung

Bis dato 26 mit unserer Unterstützung ausgebildete Krankenschwestern für Augenheilkunde sind mittlerweile über die gesamte Region Rukwa verteilt. Sie gewährleisten eine augenmedizinische Grundversorgung in ihren „primary health care units“ und klären die Bevölkerung der Umgebung über Augengesundheit auf. Dazu gehen sie in die Schulen und Kirchen der abgelegenen Dörfer und erklären, was es für Erkrankungen am Auge gibt, wie man sie erkennt und was man dagegen machen kann: Ein rotes Auge gehört in eine medizinische Versorgung, verschwommenes Sehen kann in vielen Fällen mit einer Brille ausgeglichen wer den (Stichwort: unkorrigierte Sehfehler, die häufigste Ursache für Sehbehinderung). Eltern wird der Rotreflex erklärt. Sie sollen die Krankenschwestern für Augenheilkunde kontaktieren, wenn ihnen dahingehend etwas bei ihrem Kind auffällt. So können Kinder mit einem (potentiell tödlichen) Retinoblastom oder einer Katarakt entdeckt werden.

Ein Augenarzt und drei Kataraktchirurgen werden ausgebildet

Für manches reicht diese Grundversorgung nicht aus. Deshalb haben wir im Jahr 2018 damit begonnen, an unterschiedlichen Ausbildungsstellen im Land einen Facharzt für Augenheilkunde und drei Kataraktchirurgen auszubilden.

Die erste Kataraktchirurgin hat im November 2020 ihre zweijährige Ausbildung abgeschlossen und nimmt aktuell ihre Arbeit in der neuen Augenklinik in Sumbawanga auf. Ihr stehen vor Ort zwei Optometristen und sechs Krankenschwestern für Augenheilkunde zur Seite. Das ist ein großer Schritt in Richtung einer besseren augenmedizinischen Versorgung.

Was ist, wenn die Behandlung in Sumbawanga nicht erfolgen kann? Dann werden die Patienten in Spezialkliniken nach Dar es Salaam (Entfernung: 1 200 km) oder Moshi (Entfernung: 1 400 km) überwiesen. Dies geschieht meist bei Problemen am hinteren Augenabschnitt, im Fall von Tumorerkrankungen oder für die Behandlung von Kindern (vor allem Katarakt und Retinoblastom).

Sommer 2021: Ausweitung in die nördlich gelegene Nachbarregion geplant

Das nächste Ziel ist im kommenden Sommer die nördlich gelegene Nachbarregion, die gänzlich ohne augenmedizinische Versorgung dasteht. Wir hoffen darauf, dass uns der bisherige Erfolg des Projektes weiterträgt. Es gilt, möglichst viele Menschen mitzunehmen auf einem solchen Weg,  jeden Schritt offen zu kommunizieren und unsere eigene Rolle als Gast in diesem wunderbaren Land Tansania zu begreifen. Das unterscheidet uns von den ungebetenen Gästen vor etwas mehr als 100 Jahren, beispielsweise im nicht weit entfernten Kasanga, dem ehemaligen Bismarckburg am Tanganyika See.

Es müssen sich nicht Heerscharen an medizinischem Fachpersonal auf den Weg in den Süden machen, aber alle müssen registrieren und Anteil nehmen an dem Schicksal von Menschen in weniger glücklichen Lebensumständen. Wir müssen verstehen, unterstützen und Partnerschaften suchen. Ziel muss sein, gemeinsam der Idee einer gerechteren Verteilung von Augengesundheit zu folgen.

Aus dem Bericht des letzten Eye camps

Wir lernten die fünfjährige Emila kennen. 2016 im Alter von einem Jahr musste ihr rechtes Auge aufgrund eines bösartigen Augentumors (Retinoblastom) an einer Klinik in Sambia entfernt werden. Sie wurde nach ihrer Rückkehr in Dar es Salaam in einer Spezialklinik untersucht, regelmäßige Kontrollen wurden empfohlen. „But she couldn’t afford go there for checkup“. Die Familie hatte nicht die finanziellen Mittel, um regelmäßig nach Dar es Salaam zu reisen. Seit Mitte 2017 verschlechterte sich der Zustand des linken Auges. Es lässt sich schwer abschätzen, seit wann Emila auf dem linken Auge nichts mehr sehen konnte, seit wann sie komplett erblindet ist. Irgendwann entzündete sich das linke Auge, veränderte seine Form, wuchs nach vorne und fing an, zu schmerzen. Deshalb kam die Familie mit Emila ins Camp. Sie war von einer der neuen Krankenschwestern für Augenheilkunde „entdeckt“ worden. Am Folgetag entfernten wir das blinde, schmerzhafte Auge. Der Tumor hat gestreut, der Kopf war voller Metastasen. Emila wird in völli- ger Dunkelheit versterben. 

Viele Menschen fragen mich, warum unser Team so viel Energie in dieses Projekt setzt. Weil es so unglaublich viele Schicksale wie das von Emila gibt. 
Unterstützen Sie die Ausbildung weiterer Augenschwestern, um Blindheit zu verhindern!