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Türkei: Der Duft der Normalität

A. Kurek
A. Kurek schrieb am 11.11.2011

Vom köstlichen Duft frischen, warmen Brotes geweckt zu werden: Für Mehpare Durmaz (30) war das seit langem vertrauter, liebgewordener Alltag. Ihre Wohnung im geschäftigen Stadtzentrum von Ercis in der türkischen Provinz Van lag direkt über einer Bäckerei.

Als in Ercis im Osten der Türkei die Erde zu beben begann, konnte Mehpare mit ihrer Familie mit knapper Not aus dem Gebäude entkommen. “Wir hatten sehr große Angst.” Die junge Frau schenkt schwarzen Tee in Gläser. Er ist heiß und süß. Mit ihrem Mann Ugur (37) und den vier Kindern hat die Kurdin nach dem Erdbeben Zuflucht in einer Zeltstadt des Türkischen Roten Halbmondes gefunden. “Hier fühlen wir uns beschützt. Die Menschen haben uns ihre Herzen geöffnet.”

Reihen von Rotkreuz-Zelten säumen das Ufer des Vansees. Sein Wasser ist tiefblau und sehr kalt. Im Hintergrund glitzern eisbedeckte Berggipfel. Nachts liegen die Temperaturen im anatolischen Hochland unter dem Gefrierpunkt. Es riecht nach Schnee.

Mehpare hat das Zelt mit dicken Decken ausgepolstert. einige bunte Kissen verteilt. Auf dem Boden liegt ein kleiner Wollteppich. Die Kinder - Nursen (10), Semra (9), Ahmet (5) und Yunus (4) – kommen vom Spielen im Freien zurück und werden von der Mutter ermahnt, die Schuhe auszuziehen. Regeln und Rituale seien gerade jetzt wichtig. “Sie schaffen Geborgenheit”. So wie der vertraute Duft nach frischem, warmen Brot, der über dem Rotkreuz-Lager liegt, wenn Mehpare frühmorgens erwacht. “Bevor ich die Augen öffne, glaube ich für einen winzigen Moment sogar, unser Leben sei wie immer.”

6000 Brote werden täglich in der mobilen Bäckerei des Türkischen Roten Halbmondes, die am Rande der Zeltstadt aufgebaut wurde, produziert und von Helfern verteilt. So wird nicht nur Hunger gestillt, sondern auch das Bedürfnis der Menschen nach einem Stück Normalität. Ugur Durmaz lobt die Hilfsbereitschaft, die ihm und seiner Familien von allen Seiten zuteil wird. Er ist dankbar: “Wir hatten sogar noch Glück. Viele hier haben Familie und Freunde verloren.”

Die Familie hofft, in ihre Wohnung zurückkehren zu können. “Im Moment fürchten wir uns zu sehr vor weiteren Erdbeben”, sagt Ugur. “Außerdem wissen wir nicht, ob das Gebäude noch bewohnbar ist.” Ugur ist im Straßenbau tätig. Er weiß, dass es im schwer beschädigten Ercis für ihn viel zu tun geben wird. “Wir lieben unsere Heimat. Deshalb bleiben wir. Wir wollen unsere Stadt wieder aufbauen.” Zunächst aber steht allen ein harter Winter bevor.