Zum Hauptinhalt springenErklärung zur Barrierefreiheit anzeigen
Deutschlands größte Spendenplattform

192. Zwei Mal Avantgarde: 15. und 14. November 2015 im Kirchl

Eckehard A. H.
Eckehard A. H. schrieb am 17.11.2015

Ein irres Team, sie, Manuela Romberg, aus Celle, sagt bezogen auf ihn André Thoma, bekannt aus Tiki-Bar, Murgtal: „Wir haben uns gesucht und gefunden.“ Jetzt wohnen sie in Baden-Baden, genauer Haueneberstein. Vor kurzem sind sie in der „Bar jeder Vernunft“ zu Berlin aufgetreten, der Stadt, woher sie eigentlich ihr Programm bezogen haben. Nämlich die frechsten aller Lieder, Chansons, Gassenhauer, Schlager aus dem tiefsten Wedding oder sonst woher, was heute so als Kietz bezeichnet wird. Damals, nach Weltkrieg Eins hieß es „der Westen“ oder „Norden‘“ oder Straßennamen wie Niebuhr und Zille. Und gegen Ende dieser Goldenen Zwanziger wurde das Bühnendasein schon eng bis berufsverboten oder ziemlich lebensgefährlich, jedenfalls flüchtlingsverdächtig, aber echt. Manuela erzählt fröhlich die Geschichten von Unglücksraben weiblicher Art, denn das Thema heißt „Von gefallenen Mädchen und gestandenen Frauen“. Manches Lied erklang letztes Jahr schon einmal im Kirchl, als ein ganzer Abend der Claire Waldoff gewidmet war. Zum Beispiel die Sache mit „Männer raus aus dem Reichstag und Männer raus aus dem Landtag und rin in die Dinger mit der Frau“, was mancher auch biologisch verstehen konnte, aber mit „die Dinger“ waren die Parlamente gemeint; klar, das den weit von der Ideallinie ihrer „Weltanschauung“ abweichenden Gröfaze diese Dreistigkeiten auf- und am Ende missfielen, wonach die Claire ihre Radiostimme und Bühnenlieder nach und nach, ab 1933, abgeben musste. Sie habe aber zur Verteidigung, als man ihr unterstellte, den Spottvers aufs Hermännchen (Göring) „Rechts Lametta, links Lametta, in der Mitte immer fetter“ gedichtet zu haben, die Autorschaft „dem Volk“ zugewiesen. Nach diesem ersten Rausschmeißer ging’s in die Pause. Sehr heiter war der erste Teil mit den anderen Titeln „Hafenjule“, „Großstadtpflanze“, „Groschenlied“, „Meine Tante ist nicht meine Tante“ und mittendrin „Hannelore“, dessen O fortissimo und im Duett erklang. Danach ein Tangosolo vom Schifferklavier. Mit Genuss und angesichts des im Weltkrieg für deutsche Offiziere verbotenen Tanzes von André ziemlich verrucht gespielt, während Manuela sich dabei anständig zwei Zöpfe flicht und in Grün mit ihren Moderationen in Bildungsabgründe führt, dabei Namen nennt, die manchen noch erschauern lassen: Rodolfo Valentino, Annita Berber, die erste Nackttänzerin, Valeska Gert, Josefine Baker, Greta Garbo…
Für den zweiten Teil habe Manuela keine Kosten und Mühe gescheut um offenen langen Haares als Dame aufzutreten, ganz in Bleu, einen Silberfuchs „mit tausend winzigen Polyesterchen“ um die nackten Schultern, und singt los „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“, flaniert durch die voll im Licht erstrahlenden Parkettreihen und antwortet quasi als Chor sich selbst: „Na und wenn man schon so redet und sie hat keins? Ja, dann ist es doch viel besser gleich, sie hat eins!“ Und die Folge davon ist dann Hans Albers‘ „Beim ersten Mal da tut’s noch weh!“, was natürlich 1943 als Abschied eher seelisch zu verstehen war, sonst wär dieser Song der Naziprüderie bestimmt nicht durch die Lappen gegangen. Was uns Manuelas Moderation vorenthielt sei hier nachgetragen: Der von ihr in zwei Versionen dargestellte „Novak“ wurde noch laut Spiegel vom 9. März 1960 in München beschlagnahmt, weil die Schwabinger Barsängerin Gisela Jonas es auf eine 17cm-Platte gebrannt hatte. Anstoß hatte der hinzugefügte Vers erregt: „Ich wollt' die Venus lesbisch überraschen, am Mars den alten Heidengott vernaschen. Den Mann im Mond hätt' ich ins Bett genommen, aber der Novak lässt mich nicht verkommen.“ Die zweite Version endet: „Aber der Novak will nichts mehr von mir wissen“, obwohl beziehungsweise weil… sie habe „ihm die Nase abgebissen“. André begleitet beide Fassungen in immer rabiateren Tempi vorgetragenen Kneipenlieder mit furchterregendem Staccato.
Von den als „Netzbeschmutzer“ ins Ausland Geflüchteten war natürlich Marlene Dietrich dabei und lieh sich Manuelas Stimme zu „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre, ich bin doch zu schade für einen allein.
Wenn ich jetzt grad hier Treue schwöre, wird wieder ein anderer ganz unglücklich sein.“ Und wieder eine andere gestandene: „Frau, die weiß, was sie will“, Daliah.
Die Ankündigung „heiter, bissig, rührend, frivol“ war voll erfüllt und bekam im Rausschmeißer noch mal Claire Waldoffs „Wer schmeißt denn da mit Lehm?“ aufs Ohr und in die Hände und Stimmen zum Mitmischen. http://www.dannwackeltdiewand.de
Am Abend davor brachte Stefan Böhmer aus Köln mit seiner Duett-Concertina in einer One-Man-Show die Herzen zum Höherschlagen. Seiner Ankündigung nach war nicht nur Verzückung im Anzug: „sehr seltene 100 Jahre alte Handharmonika wird durch elektrische Verstärkung auf dem Highway to Hell durch den Verzerrer gejagt. Mit den Füßen gespielt lässt das Bumm-Tschak bei Michael Jacksons Billie Jean die Hosenbeine erzittern.“ Doch was er hervor zauberte und wie er aus Bekanntem Neues machte, war von besonderer Note und Einmaligkeit. Wie alles Avantgardistische hatte auch seine Darbietung ein auserwähltes Publikum, trotz erheblicher Konkurrenz an anderen, nahegelegenen Spielorten. - www.musikboehmer.de/

Hört nur hört, das Gras der Ohren, wachsen, sonst geht's euch verloren