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Medica Afghanistan: Konferenz gegen Jungfräulichkeits-Tests

Saskia
Saskia schrieb am 13.03.2018
 08. März 2018 

In Afghanistan sind die sogenannten Jungfräulichkeits-Tests (Virginity-Tests) weit verbreitet. Obwohl das afghanische Strafgesetzbuch seit 2017 erzwungene gynäkologische Untersuchungen verbietet, werden die Tests von PolizistInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen weiterhin angeordnet. Diese Tests gehören zu den Routineuntersuchungen bei der Aufdeckung sexualisierter Gewalt sowie „moralischer Verbrechen“ wie außerehelichem Geschlechtsverkehr. Medica Afghanistan setzt sich seit Jahren gegen diese erniedrigende, menschenrechtsverletzende Praxis ein. Um EntscheidungsträgerInnen endgültig von der Abschaffung der Tests zu überzeugen, veranstaltete Medica Afghanistan am 4. März eine Konferenz.


Es genügt ein geringer Verdacht eines moralischen Verbrechens, um eine afghanische Frau dem sogenannten „Zwei-Finger-Jungfräulichkeitstest“ zu unterziehen: 

  •  Ein langer Fußmarsch nach Hause,
  • das Angebot eines männlichen Kollegen, im Auto mitzufahren, 

  • die anonyme Anzeige bei der Polizei, vorehelichen Geschlechtsverkehr vollzogen zu haben. 

Flieht eine Frau von Zuhause vor sexualisierter Gewalt oder Zwangsheirat, ist diese Untersuchungsmethode ebenso gängig wie bei Vergewaltigungen. Im Rahmen der polizeilichen Befragung werden in forensischen Instituten oder einfachen gynäkologischen Praxen dann die Jungfräulichkeitstests durchgeführt. 


Test der Jungfräulichkeit unter Zwang ist sexualisierte Gewalt mit gravierenden Folgen 

Laut der afghanischen, unabhängigen Menschenrechtskommission (AIHRC), werden nahezu alle Untersuchungen unter Zwang durchgeführt. Häufig sind mehrere Personen als ZuschauerInnen anwesend. Klientinnen von Medica Afghanistan berichten, dass anwesende Ärzte und Pfleger sie beschimpften und auslachten. Obwohl die Tests offiziell verboten sind, waren im vergangenen Jahr über 40 Klientinnen von Medica Afghanistan Opfer dieser Tests geworden. Die wissenschaftliche Beweiskraft der Tests wird von ExpertInnen schon seit Jahren widerlegt (Weltgesundheitsorganisation WHO, Independent Forensic Expert Group). 

Die Tests werden teilweise mehrfach an der gleichen Frau durchgeführt aufgrund bürokratischer Erfordernisse oder durch Verfahrensfehler. Im Fall von sexualisierter Gewalt hat ein Jungfräulichkeitstest keinerlei Beweiskraft, ob beispielsweise eine Vergewaltigung stattgefunden hat. Yalda Ahmadi, Anwältin bei Medica Afghanistan: „Es ist nicht unser Standpunkt, dass Vergewaltigungsopfer auf keinen Fall gynäkologisch untersucht werden sollen. Es geht uns lediglich darum, Untersuchungen zu unterbinden, die dem Zweck des Jungfräulichkeitsnachweises oder des Nachweises von außerehelichem Geschlechtsverkehr dienen. Unser Gesundheitsministerium hat eigens ein Protokoll für ärztliche Untersuchungen im Fall von sexualisierter Gewalt etabliert. Diesem sollten die ÄrztInnen schlicht folgen.“ 

 Laut WHO, dem UN-Sonderberichterstatter für Folter und dem UN-Sonderberichterstatter für Gewalt gegen Frauen, stellen erzwungene gynäkologische Untersuchungen eine Form sexualisierter Gewalt dar. Die Jungfräulichkeitstests und ihre äußeren Umstände haben oftmals langwierige Folgen wie Angst, Depression, Symptome posttraumatischer Belastungsstörung, Schuld- und Schamgefühle sowie körperliche Reaktionen. Hinzu kommt die gesellschaftliche Stigmatisierung bei Bekanntwerden eines solchen Tests. Einige Klientinnen von Medica Afghanistan wurden von ihren Familien verstoßen, weil sie den Test nicht bestanden hatten. 


Medica Afghanistan
fordert Anerkennung des Leids der Opfer von Jungfräulichkeitstests 

Die afghanische Regierung, insbesondere Präsident Aschraf Ghani, hat sich schon mehrfach gegen die Durchführung von Jungfräulichkeitstests ausgesprochen. Im letzten Jahr ließ Ghani verkünden: „Wie falsch diese Praxis auch ist, es wird einige Zeit brauchen, bis sie verschwunden sein wird. Doch wir sind entschlossen, sie zu beenden.“ Um diese Entschlusskraft bei allen Beteiligten und EntscheidungsträgerInnen zu befördern, initiierte Medica Afghanistan mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes und medica mondiale die Konferenz „Gerechtigkeit für Opfer von Jungfräulichkeitstests“. 

Eingeladen waren neben zahlreichen RegierungsvertreterInnen auch VertreterInnen der Internationalen Gemeinschaft, MitarbeiterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, ÄrztInnen und JuristInnen. Zentrale Fragestellung: Was können wir gemeinsam gegen die allgemein verbreitete Vorstellung tun, dass Jungfräulichkeitstests geeignet sind, Verbrechen aufzuklären? Es wurde unter anderem darüber diskutiert, wo die Gesetze noch Lücken aufweisen, die bei Zustimmung der betroffenen Frau eine gynäkologische Untersuchung der Jungfräulichkeit noch billigen und ob unter Haftbedingungen überhaupt von einer freiwilligen Zustimmung auszugehen ist. 

Humaira Rasuli, Direktorin von Medica Afghanistan, ist insgesamt zufrieden mit dem Verlauf der Konferenz. Sie begrüßt ausdrücklich das neueste Vorhaben des afghanischen Justiz- und des Innenministeriums, die Durchführung von Jungfräulichkeitstests unter Strafe zu stellen: „In Anbetracht dieser Pläne und des Anti-Folter-Gesetzes, das kürzlich eingeführt wurde, kann diese Methode zur Überprüfung von Jungfräulichkeit nur als ein Verbrechen und eine Form der Folter eingestuft werden – als nichts Anderes! “ 

Rasuli hält aber neben dem strikten Verbot und der strafrechtlichen Verfolgung dieser gängigen Praxis auch eine staatliche Opfer-Entschädigung für absolut notwendig. Sie will mit ihrem Team alles daransetzen, dies zu erreichen: „Es ist nun Gerechtigkeit gefordert. Wir werden für die 40 Klientinnen, die uns von ihren Erfahrungen mit Jungfräulichkeitstests berichtet haben, und für jene, die noch dazu kommen, eine Entschädigung für ihr erfahrenes Leid verlangen.“ 

Unterstütze Medica Afghanistan dabei, Gerechtigkeit für Frauen und Mädchen durchzusetzen!