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Hör zu!

J. Kontermann
J. Kontermann schrieb am 02.11.2018

Stille.  Ganz Beaumont schläft. Friedlich.  Doch dann aus dem Nichts: der erste Hahn kräht, der nächste stimmt mit ein. Die Motoren der LKWs und Motorräder, die auf der Schotterschnellstraße vorbeiziehen, heulen auf. Ihre Fahrer scheuen sich nicht die Hupen laut sprechen zu lassen. Langsam wirft die Sonne ihre ersten Strahlen über das Land…

…und schließlich steigen nach und nach die unterschiedlichsten Geräusche mit ein. Vogelgezwitscher, Grillenzirpen, klirrendes Blechgeschirr, spielende Kinder, laute Diskussionen der Erwachsenen. Beaumont erwacht langsam.

Doch ist der Nachbar ein Bäcker, beginnt der Tag morgens schon viel früher, bevor die Sonne aufgeht. Ohne Rücksicht auf Verluste fängt er an den Teig zu schlagen und seine Motivationsmusik auf höchste Lautstärkenstufe aufzudrehen.  Genau in diesem Moment ist dann der Tag für den einen oder anderen von uns schon angebrochen. Um 5:50 Uhr klingelt schließlich unser richtiger Wecker und kurz darauf ertönt unsere Weckmusik. Revanche!

Nach und nach steigen wir aus den Betten, schlüpfen in die Baustellenmontur und besprühen jede freie Stelle unserer Körper zuerst mit Sonnen- und anschließend mit Moskitospray, denn hier in Haiti schlafen die Moskitos und die Sonne so gut wie nie. Wenn alle soweit sind, frühstücken wir gemeinsam, besprechen die Baustellenpläne und verteilen die Aufgaben für den Tag. Kurz Zähne putzen und dann geht es los: 20 Minuten Fußmarsch nach oben zu unserer Baustelle. Ab und zu begleitet uns dabei das Gebell der Waisenhaus-Hündin.

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Am Tor angekommen stehen schon die ersten Schulkinder, die sich bei ihren Lehrern anmelden. Wir stapfen hinein und los geht die Dauerschleife „Bonjou! Bonjou! Bonjou!“, bis jeder mehrmals begrüßt worden ist.

Anschließend bereiten wir uns vor: Kopfbedeckung aufsetzen, Trinkflaschen auffüllen, Werkzeuge herausholen und Materialien für Ringankerbewehrung, Stützen- und Ringankerschalung des Klassenraums bereitstellen. Und schon jetzt ertönt regelmäßig das metallische Hämmern mit dem die Besucher des Waisenhauses an der Pforte klopfen.

Zu zehnt lässt sich, besonders auf der Baustelle, vieles erreichen. Doch es erfordert eine gute Aufgabenkoordination sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten und Leerlauf zu vermeiden. Daher teilen wir uns in Gruppen auf. Ein Bewehrungsteam, das die Bewehrung für den Ringanker feströdelt und ausrichtet, ein Stützen-Team, das die Schalung der Stützen, Fenster und Türen zusammenbaut und ein Ringanker-Team, das die Schalung des Ringankers zusammenstellt.

Eine Schalung ist wie ein großes Puzzle. Viele Einzelteile ergeben am Ende ein Ganzes und je größer, desto komplexer. Ist ein Teil nicht passend, so ist das Gesamtbild am Ende nicht vollständig und der frische Beton läuft durch jede Lücke. Es ist also gute Maßarbeit gefordert.

Challenge accepted! Wir legen los und sägen, schrauben, rödeln was das Zeug hält.

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Doch je näher das Zusammenbauen rückt, desto mehr steigt die Spannung. In der Theorie sollte alles passen, die praktische Umsetzung birgt jedoch immer, in Deutschland und vor allem in Haiti, spannende Herausforderungen. Passt die Rüttelflasche durch die Löcher im Bewehrungskorb? Ist die Stützenschalung überall gleich hoch? Sitzen die Abstandshalter an Ort und Stelle?

Nach zwei Tagen ist das Schalungs-Puzzle montagefertig. Action, bitte!

Zuerst wird die Stützenschalung auf der passenden Höhe am Erdbebenband fixiert. Dabei ist das zerstörerische Hämmern des Schlagbohrers, der sich durch den Beton kämpft, nicht zu übertönen. Erst wenn er wieder schweigt, sind unsere „Ist es im Wasser?“- und „Ist die Kante auf dem Strich?“-Rufe zu hören. Dann folgt das Surren des Akkuschraubers, der mit aller Kraft die Schraube soweit hineindreht, bis sich die Schalung nicht mehr bewegt. So geht es immer weiter, Stütze um Stütze.

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„Und hoch damit!“ Es geht an die erste Ringankerschalung. Diese wird auf die Stützenschalung gesteckt und mit den tiefen, dumpfen Hammerschlägen des Fäustlings in die richtige Position gebracht. Zwischendurch ein paar Schreie der Säge, die die letzten Ungenauigkeiten korrigiert. Wenn ein Teil sitzt, surren die Akkuschrauber erneut. Das Ganze ist ein Schlagabtausch der Geräusche bis die Schalung schließlich steht.

Endlich kann sie los gehen: die letzte Betonage des Klassenraums!

Zwei Betonmischer, jeweils ein großer Sand- und Kieshaufen, drei Schubkarren und jede Menge Eimer stehen parat. Alle sind bereit und motiviert! Für die nächsten Stunden sind hauptsächlich das Rattern der mit Benzin betriebenen Betonmischer und das Vibrieren der Rüttelflaschen zu hören. Nur wer genau hinhört, vernimmt die Schaufeln, die knirschend in den Kies stechen, den dumpfen Schlag des Betoneimers beim Absetzen oder das Holpern der Schubkarren über den Boden. Über mehrere Stunden kann man einem ohrenbetäubenden Konzert lauschen. Erst wenn die Hauptakteure schweigen weiß jeder: es ist geschafft! Der Beton ist an Ort und Stelle, die Schalung hält und zurück bleiben zehn erschöpfte, sehr dreckige EWBler mit einem Lächeln im Gesicht. Ähnlich geht es auch den vier haitianischen Arbeitern, die uns tatkräftig mit unglaublicher Muskelkraft unterstützten. „Mesi anpil!“

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Kurze Verschnaufpause, Muskeln ausruhen und einfach dem Rauschen der Bäume lauschen, das regelmäßig von einer meckernden Ziege übertönt wird. Anschließend wird alles wieder zusammengepackt, die Werkzeuge werden saubergemacht, der Beton wird nachbehandelt und die Trinkflaschen werden erneut aufgefüllt. Das Ende unseres Baustellentages verbringen wir mit den Kindern aus dem Waisenhaus. Dieser Abschluss ist für uns alle immer etwas ganz besonderes, denn jedes Kinderlachen und jeder neugierige Blick machen uns bewusst, wofür wir da sind und wie wichtig unsere Arbeit hier ist. Gedanklich sind all die schweren Betoneimer, das aufkratzende Bewehrungseisen und die brennend heiße Sonne vergessen und der Tatendrang und die Motivation für den nächsten Tag werden wieder voll aufgeladen.

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Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und die ersten Grillen beginnen mit ihrem nächtlichen Konzert. Zeit für uns mit unseren Stirnlampen nach Hause zu gehen. Noch eine Weile hört man aus unserem Haus das schwallartige Plätschern des Duschwassers aus der Schöpfkelle, das Ploppen des Feierabend- „Prestige“ -Biers und das Klappern des Bestecks beim Abendessen. Anschließend fallen wir erschöpft, aber zufrieden, in unsere Betten und Stille kehrt in Beaumont ein.

Ein weiterer Schritt ist geschafft. Nächste Etappe: das Dach!

Liebe Grüße von der anderen Seite der Erde von Adrian, Nadja, Vicky, Stanley, Leon, Dominik, Felix, Benedikt, Niklas und Jana

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