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Wir haben 108,50 € Spendengelder erhalten

J. Ziegler
J. Ziegler schrieb am 22.09.2022

BESUCH DER COMARCA „NASO TJëR DI“ Oktober 2021

Erstmals nach Zuteilung der Landrechte an das Volk der Naso und der Eröffnung der Comarca „NASO TJëR DI“ ergab sich im Oktober letzten Jahres über eine zweckgebundene Spende an den Verein F.A.W.N. e.V. die Möglichkeit, in die neu gegründete Comarca in Panama zu reisen. Gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden Ralph Scheel und dem Praktikanten David Beckenbauer, einem Studenten der TU Berlin, besuchten wir unsere Partnerorganisation O.D.E.S.E.N. für 2 Wochen. David hat sich in seinem Studium besonders den Amphibien und Reptilienarten zugewandt und konnte uns im letzten Sommer bei einer gemeinsamen Exkursion in die Forster Teichgebiete die heimischen Frosch- und Krötenarten zeigen. So hatte sich David auch vorgenommen, eine erste Inventarisierung der in der Comarca vorkommenden Reptilien und Amphibienarten durchzuführen. Außerdem sollte an der Weiterführung der avifaunistischen Bestandsaufnahme zur Umsetzung eines ornithologischen Ökotourismusprogrammes weitergearbeitet werden. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, die Mitglieder von O.D.E.S.E.N. in der Handhabung von Wildtierkameras zu schulen. Im Vorfeld der Reise konnten wir aus den Beständen von F.A.W.N. einige gebrauchte Wildtierkameras mit dazugehöriger Ausrüstung wie Batterien, Schutzhüllen, Haltegurte, GPS-Empfänger und externe Festplatte organisieren und vor Ort unserer Partnerorganisation überreichen. 



Bei meiner Ankunft in der Provinzhauptstadt Changuinola treffe ich Yerladin, eine Cousine von Adolfo, meinem besten Freund und dem Präsidenten von O.D.E.S.E.N. Wir machen uns auf den Weg zum zur Anlegestelle beim Dorf Bonyic und nach einem kleinen, unscheinbaren Schild aus Holz mit der Inschrift „Comarca Naso Tjër Di“ bin ich endlich wieder am Fluss Teribe angelangt. Ich kann es kaum erwarten, in den Einbaum zu steigen und die bewaldeten Ufer zu bestaunen. Die Bootsfahrt nach Siey-Kjin ist immer wieder beeindruckend, Reiher und Rotbrustfischer fliegen auf, als wir uns den ungezähmten Fluss hinaufwinden, Gischt spritzt über die Wand des schmalen Bootes. Yerladin erzählt mir auf der Fahrt über die Aktivitäten in den Naso Dörfern, die, gefördert und koordiniert durch verschiedene Ausschüsse und Gruppierungen in Abstimmung mit dem Generalkomitee sowie dem König der Naso, das semi-autonome Selbstverwaltungsgebiet nun gestalten sollen. Es herrscht Aufbruchstimmung unter der Bevölkerung und hohe Motivation, nun das eigene Schicksal gestalten zu können und in den Gesprächen der folgenden 2 Wochen bestätigt sich dieser Eindruck. So berichtet mir etwa Daniél von seiner Gruppe, die sich mit Vermessung der Comarca befasst und auf tagelangen Wanderungen durch bisher unerkundete Primärregenwaldgebiete versucht, die Grenzen abzugehen. Zur Übergabe an die panamenischen Behörden benötigen sie deshalb ein GPS-Gerät, welches mit hoher Genauigkeit die Ränder des Gebietes erfasst. Bei einem Preis von über 300€ ist dies jedoch nichts, was mit der hier betriebenen extensiven Landwirtschaft schnell selbst finanziert werden kann. 



Wir wohnen in Adolfos Haus und werden von seiner Frau Alejandrina mit traditionellen Gerichten aus dem eigenen Garten und der Umgebung versorgt. Morgens werden wir von Hähnen und der Sonne geweckt und der Tag beginnt mit Vogelbeobachtungen von der Veranda aus. Die vielen nektarreichen Blumen und Sträucher sowie vereinzelten Baumgruppen entlang der Flüsse laden dazu ein, Panamas artenreiche Vogelwelt zu bestaunen. Auch wenn wir möglichst viele Spezies dokumentieren wollen, ist es einfach eine Augenweide, die Unendlichkeit an Farben und Formen der verschiedenen Vogelarten durch das Fernglas zu betrachten. Alejandrina und die Kinder bestimmen fleißig mit, das dicke Buch über die Vogelwelt Panamas wird eifrig hin und her gereicht. Während ich in Panama Stadt morgens noch den Himmel vergebens nach dem alljährlichen Greifvogelzug über die Landenge Panamas abgesucht hatte, erblicken wir eines morgens insgesamt 7 Kegel mit jeweils 200-400 Greifvögeln, die sich von der Thermik hoch in den Himmel tragen lassen. Beim Nachbarn darf ich zusehen, wie aus Pflanzenfasern Körbe geflochten werden. Er trainiert für die Feria, so etwas wie die Naso Messe, wo neben Korbflechten alte Fertigkeiten wie Bogenschießen und Balsafloßrennen stattfinden. 



Als wir Eduin und Karina von der Organisation ANAAT besuchen, um über ihre Erfahrungen mit dem Jaguar Schutz Programm sprechen, treffe ich auch Antonio. Er war mein erster Expeditionsguide in die Wälder entlang des Rio Teribe und verfügt als einer der ältesten der Naso über umfangreiche Kenntnisse über Fauna, Flora, Legenden, Sprache und Gebräuche. Gerade jetzt, wo es darum geht, Kultur und Prinzipien der Naso in der neuen Comarca zu erhalten und zu fördern, ist dieses Wissen von enormer Bedeutung. Antonio möchte zu diesem Zweck möglichst vieles schriftlich aufzeichnen, wie etwa bei seinem neuesten Projekt, bei dem er die Zahlen von 1 bis 1 Millionen auf Naso aufschreibt. Ich freue mich riesig, mit ihm sprechen zu können, da er tief im Wald wohnt, immer unterwegs ist und es dadurch schwer ist, ihn zu treffen. Ich erzähle ihm von der Entdeckung einer neuen Katzenart im Gebiet der Naso, die Oncilla oder Nördliche Tigerkatze (Leopardus tigrinus), die somit neben Jaguar, Puma, Ozelot, Margay und Jaguarundi die sechste dortige Katzenart ist. Sie wurde auf früheren Kamerafallenvideos in der Comarca identifiziert und ist eine kleine Sensation, aber Antonio kennt sie bereits aus den Erzählungen seiner Vorfahren. Das zeigt mir wieder einmal, wie wichtig der Austausch mit der indigenen Bevölkerung ist, da sie einen unglaublich wertvollen Erfahrungsschatz besitzen und die Artenvielfalt ihrer Heimat seit Generationen untersuchen und bewahren. 



Ich fühle mich wie in meiner zweiten Heimat und genieße den Austausch mit alten Freunden und die neuen Gesichter, wie etwa Roderik, der uns in den Wald begleitet und mit uns den Rio Tjër Di durchschwimmt. O.D.E.S.E.N. befindet sich in einem Umstrukturierungsprozess. Adolfo stellt uns das neue Team vor und gemeinsam planen wir im Dorfzentrum eine öffentliche Schulung über den Umgang mit Kamerafallen. Die Genehmigung dafür stellen uns der Präsident der Generalversammlung sowie der König persönlich aus. Bei dieser Gelegenheit bekomme ich endlich nach all den Besuchen die Gelegenheit, den jungen Mann kennenzulernen. In dem Gespräch betone ich die Rolle der Naso als Hüter der Biodiversität und nachhaltigem Umgang mit natürlichen Ressourcen. Ich frage nach einigen wichtigen Eckpunkten wie etwa Artenschutz, Landnutzung, Forschung und Ökotourismus für eine nachhaltige Entwicklung. Diesbezüglich haben sich die Naso entschieden, Ihre Verfassung (Carta organica) aufzuschreiben, welche sich genau mit diesen Themen beschäftigt und sie rechtlich absichert. Als Verein FAWN versichern wir, die Naso auch in Zukunft bei Angelegenheiten zum Thema Artenschutz und Biodiversität mit unseren bescheidenen Möglichkeiten zu unterstützen. Ralph Scheel überreicht dem König eine Forster Stadt Chronik, welche einen Eintrag über die Geschichte von F.A.W.N. und die Einrichtung der Comarca enthält. Als nächsten Meilenstein der Zusammenarbeit wird der Plan gefasst, in der Zukunft eine Naso Delegation zu einem Besuch der Internationalen Tourismusbörse Berlin zu entsenden, um dort den aufkeimenden Ökotourismus vorzustellen. 



Die Schulung im Dorfzentrum wird mit dem geblasenen Muschelhorn von Adolfos Veranda angekündigt und auf dem Feuer der Nachbarin kocht seit 4 Uhr morgens die Suppe für die Dorfgemeinde. Das Seminar ist ein voller Erfolg, indem es die Teilnehmenden zum Gebrauch von Kamerafallen befähigt. Dadurch können sie selbst Daten über die Artenvielfalt und deren Trends in der Comarca sammeln. Gleich am nächsten Tag geht es mit einer Delegation aus dem Workshop los, um die Kamerafallen aufzustellen. Daniél stellt dafür sein Waldstück zur Verfügung, das als Schutzreservat mit Jagdverbot etabliert werden soll und somit gut geeignet für ein dauerhaftes Monitoring der damit verbundenen Entwicklung ist. Der Weg dorthin führt über einen schmalen Sekundärwaldstreifen entlang der zum Glück einzigen Kuhweide um Siey-Kjin herum hoch zum Wald, wo uns regelmäßig die Brüllaffen begrüßen und der Puma nachts unseren Pfad vom Vortag entlang gegangen ist. Hier haben wir auch in den vorangegangenen Tagen ein Transekt für Davids Amphibienerfassung angelegt und mehrmals begangen, wobei wir insgesamt 13 verschiedene Froscharten dokumentieren konnten. Überraschend reist auch eine Delegation vom Volk der Ngobe an, zu der Feliciano Santos gehört, ein Menschenrechtsaktivist und Präsident der Organisation MODETEAB. Er erzählt in einer Geschichte spät abends über die lange Verbindung zu den Naso und die Begegnungen, Zufälle, politischen Entwicklungen in Panama über die letzten Jahrzehnte, die dann schlussendlich auch mit unserer Hilfe zur Anerkennung der Landrechte geführt hat. 



Die Geschichte berührt mich und ich beschließe, mich zurück in Köln bei den damaligen Spendern zu bedanken. Zufällig kann bei der Gelegenheit eine weitere Spende, über die wir nun eine Solarpanel und das gewünschte GPS-Gerät an den Rio Teribe senden konnten, generiert werden. So trägt die Reise direkt schon Früchte und es motiviert uns umso mehr, das Material unseres Aufenthalts in den nächsten Wochen zu verarbeiten und die Ideen umzusetzen. So entsteht etwa ein kleiner Fieldguide über die gefundenen Amphibien, der bei der nächsten Reise zusammen mit Lehrmaterial für den Schulunterricht den Naso übergeben werden soll. Auch die ersten Daten der Kamerafallen erreichen uns und zeigen spannende Aufnahmen von Puma, Ozelot, Tayra und Agutis. Zusammen mit der Auswertung der Vogelbeobachtung, bei der 98 unterschiedliche Arten bestimmt werden konnten, ist das ein weiterer Beweis für den enormen Naturreichtum, über den die Naso verfügen. Insgesamt war die Reise damit wieder eine große Bereicherung für beide Seiten und hat die Zusammenarbeit noch einmal gefestigt und für die nächsten Jahre geformt. Ich kann es schon wieder kaum erwarten, den Boden Panamas unter mir zu spüren und dabei zu sein, wie meine Freundinnen und Freunde mit Stolz und Zuversicht ihren Weg gehen. 





Jörn Ziegler, pädagogischer Beirat / Projektleiter Panama First Aid for Wonderful Nature (F.A.W.N.) e.V.