IPON Aktuell - November 2020
C. Berg schrieb am 04.12.2020
Liebe Freundin der Menschenrechte,
lieber Unterstützer von IPON, unsere Mandatspartnerin und Freundin Zara Alvarez ist ermordet worden. Lange wurde sie bedroht, immer wieder kriminalisiert und zu Unrecht inhaftiert. Seit 2013 hat IPON die Menschenrechtlerin begleitet. Wir trauern um sie.[i]
IPON hat lange schon auf das Phänomen des sog. Red-Tagging aufmerksam gemacht und darauf, dass es töten kann. Menschenrechtler*innen werden als Kommunist*innen bezeichnet. In der Folge werden sie als Terrorist*innen für vogelfrei erklärt und verfolgt. In den Philippinen trifft die Corona-Pandemie auf eine autoritäre und gewalttätige Staatsführung. Infektionsschutz wird militärisch organisiert und zur Unterdrückung vermeintlicher politischer Gegner*innen eingesetzt. Menschenrechtsverletzungen vor Ort zu dokumentieren, ist in diesem Klima schwierig geworden. Unsere Beobachter*innen haben bereits im letzten Jahr das Land verlassen. Nicht erst seit dem Tod von Zara Alvarez ist jedoch klar: Internationale Menschenrechtsbeobachter*innen von IPON müssen in die Philippinen zurückkehren. Das bereiten wir jetzt vor. Bis es soweit ist, bauen wir aus der Ferne den Kontakt zu lokalen staatlichen Akteuren in den Philippinen aus und erinnern sie kontinuierlich an die staatliche Schutzpflicht. Gleichzeitig gilt es, in Deutschland die Öffentlichkeit zu mobilisieren und internationale Mechanismen zum Schutz von Menschenrechtler*innen zu aktivieren. Wir möchten Sie nun genauer über die Situation in den Philippinen und die aktuelle Arbeit von IPON informieren[ii].
Wir danken Ihnen für ihr Interesse und bitten Sie: Unterstützen Sie IPON mit einer Spende.
Inhaltsübersicht
Repressionen in den Philippinen
Mord an Zara Alvarez
Freispruch von Bobby Lingating
Rückkehr von IPON
Mobilisierung in Deutschland und EU
Menschenrechtsbeobachtung aus der Ferne
Repressionen in den Philippinen
In der Pandemie tritt die derzeitige menschenrechtliche Schieflage der Philippinen wie durch ein Brennglas hervor.[iii] In einem hochgradig militarisierten und von Straflosigkeit geprägten Umfeld erleiden alle, die sich für die eigenen Rechte oder die anderer einsetzen, harte Repressionen. Diese reichen von öffentlichen Demütigungen bis hin zu Verhaftungen.[iv] Präsident Duterte hat sogar gefordert, alle die „Probleme machen“ einfach abzuschießen.[v] Mit militärischen Mitteln werden Ausgangssperren durchgesetzt. Menschen, die zuvor außergerichtliche Tötungen im sogenannten „War on Drugs“ dokumentiert haben, können dieser wichtigen Aufgabe kaum noch nachgehen. Gleichzeitig geht das Töten von Personen, die angeblich illegale Drogen konsumieren oder damit handeln, weiter. Im Schatten der Pandemie ist im Juli ein neues Gesetz zur Terrorbekämpfung in Kraft getreten. Aktivist*innen können nun, wenn sie durch den sogenannten Anti-Terrorismus-Rat (ATC) als Terrorist*innen bezeichnet werden, bis zu 24 Tage ohne Haftbefehl festgehalten werden. Die Kriterien hierfür sind jedoch nicht eindeutig, auch gewaltfrei agierende Menschenrechtler*innen können betroffen sein.[vi] Tatsächlich setzt das philippinische Militär Menschenrechtler*innen immer mehr mit Terrorist*innen gleich. Diffamierungen als Staatsfeinde und offene Bedrohungen finden durch öffentliche Plakataktionen und in den sozialen Medien statt.

Zara Alvarez († 17.08.2020): Die Hoffnung die sie niemals aufgegeben hat, sollte in uns allen weiterleben.
Mord an Zara Alvarez
Am 17. August wurde Zara Alvarez in der Nähe ihrer Wohnung in Bacolod City, Insel Negros, auf offener Straße erschossen. Die Täter flohen mit dem Motorrad.[vii] Das, wovor Zara — wovor wir alle — immer Angst hatten, ist Realität geworden. Zara wurde lange bedroht. Seit ihrer Jugend war sie politisch aktiv, z.B. setzte sie sich in einer Studierendenorganisation für Meinungs- und Pressefreiheit ein. Zudem engagierte sie sich in der größten Menschenrechtsorganisation der Philippinen (KARAPATAN). Sie dokumentierte immer wieder Menschenrechtsverletzungen durch das Militär und wurde so zur Zielscheibe staatlicher Repressionen. IPON lernte Zara 2013 kennen. Wegen falscher und später widerlegter Anschuldigungen, Mitglied der NPA (kommunistische Guerilla) und an einem Mord beteiligt gewesen zu sein, saß sie damals in Haft. Nach ihrer Entlassung begleiteten wir Zara über mehrere Jahre und konnten zu ihrer Sicherheit beitragen.[viii] Zuletzt arbeitete Zara für das Recht auf Gesundheit im Negros Island Health Integrated Program for Community Development (NIHIPCD). Sie lieferte Hilfsgüter an Gemeinden, die durch Corona-Maßnahmen ihr Einkommen verloren hatten und leistete dort Aufklärungsarbeit. Anstelle einer Anerkennung wurde sie von der Armee bezichtigt, für die NPA zu rekrutieren. Zara war sich der Gefahr immer bewusst: Sie suchte Schutz durch (internationale) Öffentlichkeit und thematisierte ihre Situation offen.[ix] Die Idee einer Schutzunterbringung in Deutschland über ein parlamentarisches Programm wollte sie nicht weiterverfolgen. Zum einen war ihr das Engagement vor Ort wichtig. Zum anderen suchte sie Schutz beim Philippinischen Staat: Verschiedene Menschenrechtsorganisationen versuchen seit Mai 2019, einen gerichtlichen Schutz zu erwirken (Writ of Amparo). Es soll gerichtlich festgestellt werden, das Red-Tagging von Organisationen wie KARAPATAN zu persönlichen Gefahren für Personen wie Zara Alvarez führen kann. Noch immer liegt der Fall beim Obersten Gerichtshof, samt Zaras eidesstattlicher Erklärung zu ihrer Bedrohungslage. IPON hat über mehrere Jahre, gefördert durch das Auswärtige Amt, Fälle von Red-Tagging dokumentiert. Wir haben die Beschreibung des Phänomens geprägt und staatliche Akteure in den Philippinen hierzu sensibilisiert.[x] Unter der Regierung Duterte ist es Programm geworden, Menschenrechtler*innen Staatszersetzung und Terrorismus vorzuwerfen. Dem Phänomen muss nun mit veränderten Strategien begegnet werden.
Unterstützen Sie mit Ihrer Spende, hier Strategien zu entwickeln.
Freispruch von Bobby Lingating
Uns erreichen auch positive Nachrichten von Menschen, die wir begleiten: Unser Mandatspartner „Bobby“ Rio Olimpio Lingating teilte uns am 18. November mit, dass er vom Gericht in Ozamis City, Insel Mindanao, in allen Anklagepunkten freigesprochen wurde. Ihm wurde illegaler Besitz von Waffen und Sprengstoff vorgeworfen. Als Verteidiger des indigenen Ahnenlandes das seiner Gruppe gesetzlich zugesprochen wurde, war Bobby ins Visier lokaler Politiker*innen und internationaler Bergbauunternehmen geraten. Nachdem er illegal aus seinem politischen Amt entfernt wurde, folgten mehrere politisch motivierte Anklagen, sowie Angriffe auf sein Leben. IPON begleitet den Indigenenführer der Subanen, einer der größten indigenen Gruppen der Philippinen, seit er 2016 untertauchen musste.[xi] Den Rahmen bildet das Mandat mit der Menschenrechtsorganisation BAWGBUG, unter Leitung des bekannten Friedensaktivisten Cocoy Tulawie und der Menschenrechtsanwältin Mary-Ann Arnado. Bobbys Freispruch ist ein wichtiger Schritt und zeigt, dass auch im besonders konfliktreichen Westen Mindanaos Chancen auf faire Gerichtsverfahren bestehen.

Legal Team: Mit Konstantin Burudshiew, Erik Tuchtfeld und Margarethe Pfeifer stehen der ehrenamtlichen Gruppe Personen mit juristischer Ausbildung zur Verfügung, die sich fortlaufend den rechtlichen Bedingungen für eine Rückkehr in die Philippinen widmen (Hier: Videokonferenz)
Rückkehr von IPON
Es ist Zeit für IPON, gut vorbereitet in die Philippinen zurückzukehren. Mit dem Ende von Dutertes Amtszeit im Frühjahr 2022 besteht die Hoffnung, dass internationale Beobachtung durch Teams Vorort wieder möglich wird. Bereits jetzt arbeiten wir an Konzepten, wie ein rechtssicherer Aufenthalt von Beobachter*innen organisiert werden kann und was für die Sicherheit unserer Mandatspartner*innen und der Menschenrechtsbeobachter*innen bedacht werden muss. Wir werten unsere Arbeit der vergangenen Jahre aus und nehmen teilweise strategische Anpassungen vor. Die Koordinationsgruppe von IPON wird zu einem erheblichen Teil von ehrenamtlichen Mitgliedern getragen. Viele haben mittlerweile Kinder oder sind beruflich stärker eingebunden, als noch vor einigen Jahren. Hier gilt es, Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, die alle mitnehmen. IPON kann so zunehmend von enormen Kompetenzen und Netzwerken, welche die Ehrenamtlichen in ihrer eigenen Berufstätigkeit ausgebaut haben, profitieren. Das Büro ist in Teilzeit von Johannes Richter und Janina Dannenberg besetzt und bei allen Fragen erreichbar unter: 040 - 25491947. Bis wir wieder vor Ort arbeiten können, ist uns wichtig, einen guten Kontakt zu unseren Mandatspartner*innen zu halten. Hierbei übernehmen ehemalige Beobachter*innen die beruflich in den Philippinen tätig sind, eine zentrale Rolle.
Wir freuen uns, wenn auch Sie bei IPON dabei sind: z.B. als Fördermitglied.
Mobilisierung in Deutschland und EU
Zara Alvarez Tod hat zu einem breiten zivilgesellschaftlichen Aufschrei über alle politischen Lager in den Philippinen geführt. Ein gemeinsamer Appell von 62 Organisationen an den UN-Menschenrechtsrat wurde von IPON als Mitglied des Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen mitgetragen.[xii] Auf Ebene der EU hat IPON ein Briefing zu Zaras Ermordung an die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, MdE Dr. Hannah Neumann, eingereicht. Dieses hat zu einer Dringlichkeitsentschließung des Europäischen Parlaments beigetragen.[xiii] Um auf die Situation von philippinischen Menschenrechtler*innen aufmerksam zu machen, bedarf es jedoch nicht nur politischer Lobbyarbeit sondern auch der Begegnung mit der Öffentlichkeit in Deutschland. In den nächsten Monaten werden wir (Mitmach-)Aktionen entwickeln, die unser Anliegen hier sichtbar machen. Wir freuen uns, wenn Sie nach unserem Aufruf dabei sein werden!
Bis Beobachter*innen von IPON wieder persönlich im Gerichtssaal sitzen können, steht Beobachtung aus der Ferne auf der Tagesordnung (Zeichnung: AK).
Menschenrechtsbeobachtung aus der Ferne
Es war immer die Besonderheit von IPON, dort zu sein, wo lokale Menschenrechtler*innen ihre gewaltfreien Kämpfe ausfechten – in einem Setting lokaler Behörden und Gewaltakteure. Das möchten wir beibehalten. Große internationale NGOs finden an diese Orte nur selten ihren Weg. Im Fall von Zara Alvarez droht, wie so oft, Straflosigkeit. Statt dieses nur auf der nationalen Ebene anzumahnen, soll bei lokalen Akteuren der Strafverfolgung das Telefon klingeln. Die in unserer Erfahrung häufig fruchtbare Frage, wie es denn mit dem Fall gerade steht, werden wir, statt an lokale Bürotüren zu klopfen, aus zehntausend Kilometern Entfernung stellen. Dieses Vorgehen ist ungewöhnlich. Doch ungewöhnliche Zeiten erfordern ein solches Vorgehen. Ob es Erfolg hat, können wir noch nicht absehen, doch ein Versuch ist es wert. Einige Kolleg*innen von Zara sind direkten Todesdrohungen ausgesetzt,[xiv] bei anderen unserer Mandatspartner*innen ist die Situation ebenfalls schwierig. In enger Absprache überlegen wir, wen auf lokaler Ebene ein Anruf aus Deutschland erfolgreich daran erinnern kann, dass es menschenrechtliche Pflichten einzuhalten gilt. Ein Brief an den Präsidenten von uns hätte zurzeit bekanntermaßen keinerlei Erfolgsaussichten.
Wir bedanken uns ganz herzlich für ihr Interesse an unserer Arbeit! Wie Sie wissen, wird diese durch Ihre Spende ermöglicht.
Wir wünschen Ihnen, dass es Ihnen in diesem außergewöhnlichen Advent gut ergeht. Allen Menschenrechtler*innen — ob hier oder in der Ferne — wünschen wir Mut, weiterhin für die Rechte aller Menschen einzutreten und die Kraft, andere zu überzeugen.
Herzliche Grüße
im Namen der IPON-Koordination
Ihre Janina Dannenberg
---
[i] Unsere Trauerbekundung zu Zaras Ermordung: https://www.facebook.com/ipon.philippines/posts/3809919089025313. Ein gemeinsames Statement mit dem Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen: https://amp.ngo/mord-an-zara-alvarez/.
[ii] Allgemeine Informationen zu IPON: https://ipon-philippines.org/wp-content/uploads/IPON_Brosch%C3%BCre-IPON_Doppeseitelseiten.pdf.
[iii] UN-Bericht zur Menschenrechtslage in den Philippinen : https://www.ohchr.org/Documents/Countries/PH/Philippines-HRC44-AEV.pdf. Bericht von Amnesty International: https://www.amnesty.org/download/Documents/ASA3530852020ENGLISH.PDF.
[iv] https://www.hrw.org/news/2020/04/03/philippine-children-face-abuse-violating-covid-19-curfew.
[v] https://www.aljazeera.com/news/2020/04/02/shoot-them-dead-duterte-warns-against-violating-lockdown/. Generelles zur Pandemie in den Philippinen dokumentiert das Philippinenbüro: https://www.asienhaus.de/uploads/tx_news/Broschuere_Corona-in-Asien_2020_01.pdf.
[vi] Das Antiterrorismusgesetz: https://www.officialgazette.gov.ph/downloads/2020/06jun/20200703-RA-11479-RRD.pdf. Beispiele philippinischer Medienbeiträge, welche die mit dem Gesetz verbundene Unsicherheit aufzeigen: https://www.cnnphilippines.com/news/2020/10/17/anti-terrorism-act-IRR-protests.html, https://cnnphilippines.com/news/2019/11/6/Gabriela-NGO-slam-red-tagging-by-AFP-DND-.html, https://www.rappler.com/nation/activists-rely-good-faith-government-terror-designation-arrest-anti-terrorism-law.
[vii] Zum Tathergang: https://newsinfo.inquirer.net/1325216/people-not-willing-to-talk-on-death-of-negros-based-activist-says-chr.
[viii] Ein Beispiel für die Öffentlichkeitsarbeit von IPON zum Fall Zara Alvarez: https://www.dandc.eu/de/article/wie-menschenrechtsverteidiger-auf-den-philippinen-mit-falschen-anklagen-ohnmaechtig-gemacht. Eine persönliche Darstellung der Zusammenarbeit mit Zara wird in den nächsten Wochen in CHRISMON erscheinen.
[ix] Zara thematisierte die Drohungen u.a. auf Facebook: https://www.facebook.com/photo?fbid=2370141873054064&set=a.738018919599709.
[x] Ein Bericht von IPON zum Red-Tagging https://ipon-philippines.org/wp-content/uploads/ObserverJournal/Observer_Vol.3_Nr.2_RedBaiting.pdf (S.4-8). Ein Beispiel für die öffentliche Rezeption des Berichtes: https://manilatoday.net/a-quick-initial-brief-on-red-tagging-in-the-philippines-nupl/.
[xi] Ein Blogbeitrag von IPON zu diesem Fall: https://iponphilippinesblog.wordpress.com/2017/07/17/the-case-of-bobby-lingating/.
[xii] Der Appell der 62 Organisationen: https://www.hrw.org/news/2020/08/27/philippines-letter-member-and-observer-states-united-nations-human-rights-council-0.
[xiii] Das Briefing zu Zara Alvarez senden wir Ihnen auf Anfrage gerne zu. Die Dringlichkeitsentschließung: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2020-0292_EN.html.
[xiv] Todesdrohungen dokumentiert auf Facebook: https://www.facebook.com/tinay.palabay/posts/10220626458904170.
lieber Unterstützer von IPON, unsere Mandatspartnerin und Freundin Zara Alvarez ist ermordet worden. Lange wurde sie bedroht, immer wieder kriminalisiert und zu Unrecht inhaftiert. Seit 2013 hat IPON die Menschenrechtlerin begleitet. Wir trauern um sie.[i]
IPON hat lange schon auf das Phänomen des sog. Red-Tagging aufmerksam gemacht und darauf, dass es töten kann. Menschenrechtler*innen werden als Kommunist*innen bezeichnet. In der Folge werden sie als Terrorist*innen für vogelfrei erklärt und verfolgt. In den Philippinen trifft die Corona-Pandemie auf eine autoritäre und gewalttätige Staatsführung. Infektionsschutz wird militärisch organisiert und zur Unterdrückung vermeintlicher politischer Gegner*innen eingesetzt. Menschenrechtsverletzungen vor Ort zu dokumentieren, ist in diesem Klima schwierig geworden. Unsere Beobachter*innen haben bereits im letzten Jahr das Land verlassen. Nicht erst seit dem Tod von Zara Alvarez ist jedoch klar: Internationale Menschenrechtsbeobachter*innen von IPON müssen in die Philippinen zurückkehren. Das bereiten wir jetzt vor. Bis es soweit ist, bauen wir aus der Ferne den Kontakt zu lokalen staatlichen Akteuren in den Philippinen aus und erinnern sie kontinuierlich an die staatliche Schutzpflicht. Gleichzeitig gilt es, in Deutschland die Öffentlichkeit zu mobilisieren und internationale Mechanismen zum Schutz von Menschenrechtler*innen zu aktivieren. Wir möchten Sie nun genauer über die Situation in den Philippinen und die aktuelle Arbeit von IPON informieren[ii].
Wir danken Ihnen für ihr Interesse und bitten Sie: Unterstützen Sie IPON mit einer Spende.
Inhaltsübersicht
Repressionen in den Philippinen
Mord an Zara Alvarez
Freispruch von Bobby Lingating
Rückkehr von IPON
Mobilisierung in Deutschland und EU
Menschenrechtsbeobachtung aus der Ferne
Repressionen in den Philippinen
In der Pandemie tritt die derzeitige menschenrechtliche Schieflage der Philippinen wie durch ein Brennglas hervor.[iii] In einem hochgradig militarisierten und von Straflosigkeit geprägten Umfeld erleiden alle, die sich für die eigenen Rechte oder die anderer einsetzen, harte Repressionen. Diese reichen von öffentlichen Demütigungen bis hin zu Verhaftungen.[iv] Präsident Duterte hat sogar gefordert, alle die „Probleme machen“ einfach abzuschießen.[v] Mit militärischen Mitteln werden Ausgangssperren durchgesetzt. Menschen, die zuvor außergerichtliche Tötungen im sogenannten „War on Drugs“ dokumentiert haben, können dieser wichtigen Aufgabe kaum noch nachgehen. Gleichzeitig geht das Töten von Personen, die angeblich illegale Drogen konsumieren oder damit handeln, weiter. Im Schatten der Pandemie ist im Juli ein neues Gesetz zur Terrorbekämpfung in Kraft getreten. Aktivist*innen können nun, wenn sie durch den sogenannten Anti-Terrorismus-Rat (ATC) als Terrorist*innen bezeichnet werden, bis zu 24 Tage ohne Haftbefehl festgehalten werden. Die Kriterien hierfür sind jedoch nicht eindeutig, auch gewaltfrei agierende Menschenrechtler*innen können betroffen sein.[vi] Tatsächlich setzt das philippinische Militär Menschenrechtler*innen immer mehr mit Terrorist*innen gleich. Diffamierungen als Staatsfeinde und offene Bedrohungen finden durch öffentliche Plakataktionen und in den sozialen Medien statt.

Zara Alvarez († 17.08.2020): Die Hoffnung die sie niemals aufgegeben hat, sollte in uns allen weiterleben.
Mord an Zara Alvarez
Am 17. August wurde Zara Alvarez in der Nähe ihrer Wohnung in Bacolod City, Insel Negros, auf offener Straße erschossen. Die Täter flohen mit dem Motorrad.[vii] Das, wovor Zara — wovor wir alle — immer Angst hatten, ist Realität geworden. Zara wurde lange bedroht. Seit ihrer Jugend war sie politisch aktiv, z.B. setzte sie sich in einer Studierendenorganisation für Meinungs- und Pressefreiheit ein. Zudem engagierte sie sich in der größten Menschenrechtsorganisation der Philippinen (KARAPATAN). Sie dokumentierte immer wieder Menschenrechtsverletzungen durch das Militär und wurde so zur Zielscheibe staatlicher Repressionen. IPON lernte Zara 2013 kennen. Wegen falscher und später widerlegter Anschuldigungen, Mitglied der NPA (kommunistische Guerilla) und an einem Mord beteiligt gewesen zu sein, saß sie damals in Haft. Nach ihrer Entlassung begleiteten wir Zara über mehrere Jahre und konnten zu ihrer Sicherheit beitragen.[viii] Zuletzt arbeitete Zara für das Recht auf Gesundheit im Negros Island Health Integrated Program for Community Development (NIHIPCD). Sie lieferte Hilfsgüter an Gemeinden, die durch Corona-Maßnahmen ihr Einkommen verloren hatten und leistete dort Aufklärungsarbeit. Anstelle einer Anerkennung wurde sie von der Armee bezichtigt, für die NPA zu rekrutieren. Zara war sich der Gefahr immer bewusst: Sie suchte Schutz durch (internationale) Öffentlichkeit und thematisierte ihre Situation offen.[ix] Die Idee einer Schutzunterbringung in Deutschland über ein parlamentarisches Programm wollte sie nicht weiterverfolgen. Zum einen war ihr das Engagement vor Ort wichtig. Zum anderen suchte sie Schutz beim Philippinischen Staat: Verschiedene Menschenrechtsorganisationen versuchen seit Mai 2019, einen gerichtlichen Schutz zu erwirken (Writ of Amparo). Es soll gerichtlich festgestellt werden, das Red-Tagging von Organisationen wie KARAPATAN zu persönlichen Gefahren für Personen wie Zara Alvarez führen kann. Noch immer liegt der Fall beim Obersten Gerichtshof, samt Zaras eidesstattlicher Erklärung zu ihrer Bedrohungslage. IPON hat über mehrere Jahre, gefördert durch das Auswärtige Amt, Fälle von Red-Tagging dokumentiert. Wir haben die Beschreibung des Phänomens geprägt und staatliche Akteure in den Philippinen hierzu sensibilisiert.[x] Unter der Regierung Duterte ist es Programm geworden, Menschenrechtler*innen Staatszersetzung und Terrorismus vorzuwerfen. Dem Phänomen muss nun mit veränderten Strategien begegnet werden.
Unterstützen Sie mit Ihrer Spende, hier Strategien zu entwickeln.
Freispruch von Bobby Lingating
Uns erreichen auch positive Nachrichten von Menschen, die wir begleiten: Unser Mandatspartner „Bobby“ Rio Olimpio Lingating teilte uns am 18. November mit, dass er vom Gericht in Ozamis City, Insel Mindanao, in allen Anklagepunkten freigesprochen wurde. Ihm wurde illegaler Besitz von Waffen und Sprengstoff vorgeworfen. Als Verteidiger des indigenen Ahnenlandes das seiner Gruppe gesetzlich zugesprochen wurde, war Bobby ins Visier lokaler Politiker*innen und internationaler Bergbauunternehmen geraten. Nachdem er illegal aus seinem politischen Amt entfernt wurde, folgten mehrere politisch motivierte Anklagen, sowie Angriffe auf sein Leben. IPON begleitet den Indigenenführer der Subanen, einer der größten indigenen Gruppen der Philippinen, seit er 2016 untertauchen musste.[xi] Den Rahmen bildet das Mandat mit der Menschenrechtsorganisation BAWGBUG, unter Leitung des bekannten Friedensaktivisten Cocoy Tulawie und der Menschenrechtsanwältin Mary-Ann Arnado. Bobbys Freispruch ist ein wichtiger Schritt und zeigt, dass auch im besonders konfliktreichen Westen Mindanaos Chancen auf faire Gerichtsverfahren bestehen.

Legal Team: Mit Konstantin Burudshiew, Erik Tuchtfeld und Margarethe Pfeifer stehen der ehrenamtlichen Gruppe Personen mit juristischer Ausbildung zur Verfügung, die sich fortlaufend den rechtlichen Bedingungen für eine Rückkehr in die Philippinen widmen (Hier: Videokonferenz)
Rückkehr von IPON
Es ist Zeit für IPON, gut vorbereitet in die Philippinen zurückzukehren. Mit dem Ende von Dutertes Amtszeit im Frühjahr 2022 besteht die Hoffnung, dass internationale Beobachtung durch Teams Vorort wieder möglich wird. Bereits jetzt arbeiten wir an Konzepten, wie ein rechtssicherer Aufenthalt von Beobachter*innen organisiert werden kann und was für die Sicherheit unserer Mandatspartner*innen und der Menschenrechtsbeobachter*innen bedacht werden muss. Wir werten unsere Arbeit der vergangenen Jahre aus und nehmen teilweise strategische Anpassungen vor. Die Koordinationsgruppe von IPON wird zu einem erheblichen Teil von ehrenamtlichen Mitgliedern getragen. Viele haben mittlerweile Kinder oder sind beruflich stärker eingebunden, als noch vor einigen Jahren. Hier gilt es, Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, die alle mitnehmen. IPON kann so zunehmend von enormen Kompetenzen und Netzwerken, welche die Ehrenamtlichen in ihrer eigenen Berufstätigkeit ausgebaut haben, profitieren. Das Büro ist in Teilzeit von Johannes Richter und Janina Dannenberg besetzt und bei allen Fragen erreichbar unter: 040 - 25491947. Bis wir wieder vor Ort arbeiten können, ist uns wichtig, einen guten Kontakt zu unseren Mandatspartner*innen zu halten. Hierbei übernehmen ehemalige Beobachter*innen die beruflich in den Philippinen tätig sind, eine zentrale Rolle.
Wir freuen uns, wenn auch Sie bei IPON dabei sind: z.B. als Fördermitglied.
Mobilisierung in Deutschland und EU
Zara Alvarez Tod hat zu einem breiten zivilgesellschaftlichen Aufschrei über alle politischen Lager in den Philippinen geführt. Ein gemeinsamer Appell von 62 Organisationen an den UN-Menschenrechtsrat wurde von IPON als Mitglied des Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen mitgetragen.[xii] Auf Ebene der EU hat IPON ein Briefing zu Zaras Ermordung an die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, MdE Dr. Hannah Neumann, eingereicht. Dieses hat zu einer Dringlichkeitsentschließung des Europäischen Parlaments beigetragen.[xiii] Um auf die Situation von philippinischen Menschenrechtler*innen aufmerksam zu machen, bedarf es jedoch nicht nur politischer Lobbyarbeit sondern auch der Begegnung mit der Öffentlichkeit in Deutschland. In den nächsten Monaten werden wir (Mitmach-)Aktionen entwickeln, die unser Anliegen hier sichtbar machen. Wir freuen uns, wenn Sie nach unserem Aufruf dabei sein werden!
Bis Beobachter*innen von IPON wieder persönlich im Gerichtssaal sitzen können, steht Beobachtung aus der Ferne auf der Tagesordnung (Zeichnung: AK).
Menschenrechtsbeobachtung aus der Ferne
Es war immer die Besonderheit von IPON, dort zu sein, wo lokale Menschenrechtler*innen ihre gewaltfreien Kämpfe ausfechten – in einem Setting lokaler Behörden und Gewaltakteure. Das möchten wir beibehalten. Große internationale NGOs finden an diese Orte nur selten ihren Weg. Im Fall von Zara Alvarez droht, wie so oft, Straflosigkeit. Statt dieses nur auf der nationalen Ebene anzumahnen, soll bei lokalen Akteuren der Strafverfolgung das Telefon klingeln. Die in unserer Erfahrung häufig fruchtbare Frage, wie es denn mit dem Fall gerade steht, werden wir, statt an lokale Bürotüren zu klopfen, aus zehntausend Kilometern Entfernung stellen. Dieses Vorgehen ist ungewöhnlich. Doch ungewöhnliche Zeiten erfordern ein solches Vorgehen. Ob es Erfolg hat, können wir noch nicht absehen, doch ein Versuch ist es wert. Einige Kolleg*innen von Zara sind direkten Todesdrohungen ausgesetzt,[xiv] bei anderen unserer Mandatspartner*innen ist die Situation ebenfalls schwierig. In enger Absprache überlegen wir, wen auf lokaler Ebene ein Anruf aus Deutschland erfolgreich daran erinnern kann, dass es menschenrechtliche Pflichten einzuhalten gilt. Ein Brief an den Präsidenten von uns hätte zurzeit bekanntermaßen keinerlei Erfolgsaussichten.
Wir bedanken uns ganz herzlich für ihr Interesse an unserer Arbeit! Wie Sie wissen, wird diese durch Ihre Spende ermöglicht.
Wir wünschen Ihnen, dass es Ihnen in diesem außergewöhnlichen Advent gut ergeht. Allen Menschenrechtler*innen — ob hier oder in der Ferne — wünschen wir Mut, weiterhin für die Rechte aller Menschen einzutreten und die Kraft, andere zu überzeugen.
Herzliche Grüße
im Namen der IPON-Koordination
Ihre Janina Dannenberg
---
[i] Unsere Trauerbekundung zu Zaras Ermordung: https://www.facebook.com/ipon.philippines/posts/3809919089025313. Ein gemeinsames Statement mit dem Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen: https://amp.ngo/mord-an-zara-alvarez/.
[ii] Allgemeine Informationen zu IPON: https://ipon-philippines.org/wp-content/uploads/IPON_Brosch%C3%BCre-IPON_Doppeseitelseiten.pdf.
[iii] UN-Bericht zur Menschenrechtslage in den Philippinen : https://www.ohchr.org/Documents/Countries/PH/Philippines-HRC44-AEV.pdf. Bericht von Amnesty International: https://www.amnesty.org/download/Documents/ASA3530852020ENGLISH.PDF.
[iv] https://www.hrw.org/news/2020/04/03/philippine-children-face-abuse-violating-covid-19-curfew.
[v] https://www.aljazeera.com/news/2020/04/02/shoot-them-dead-duterte-warns-against-violating-lockdown/. Generelles zur Pandemie in den Philippinen dokumentiert das Philippinenbüro: https://www.asienhaus.de/uploads/tx_news/Broschuere_Corona-in-Asien_2020_01.pdf.
[vi] Das Antiterrorismusgesetz: https://www.officialgazette.gov.ph/downloads/2020/06jun/20200703-RA-11479-RRD.pdf. Beispiele philippinischer Medienbeiträge, welche die mit dem Gesetz verbundene Unsicherheit aufzeigen: https://www.cnnphilippines.com/news/2020/10/17/anti-terrorism-act-IRR-protests.html, https://cnnphilippines.com/news/2019/11/6/Gabriela-NGO-slam-red-tagging-by-AFP-DND-.html, https://www.rappler.com/nation/activists-rely-good-faith-government-terror-designation-arrest-anti-terrorism-law.
[vii] Zum Tathergang: https://newsinfo.inquirer.net/1325216/people-not-willing-to-talk-on-death-of-negros-based-activist-says-chr.
[viii] Ein Beispiel für die Öffentlichkeitsarbeit von IPON zum Fall Zara Alvarez: https://www.dandc.eu/de/article/wie-menschenrechtsverteidiger-auf-den-philippinen-mit-falschen-anklagen-ohnmaechtig-gemacht. Eine persönliche Darstellung der Zusammenarbeit mit Zara wird in den nächsten Wochen in CHRISMON erscheinen.
[ix] Zara thematisierte die Drohungen u.a. auf Facebook: https://www.facebook.com/photo?fbid=2370141873054064&set=a.738018919599709.
[x] Ein Bericht von IPON zum Red-Tagging https://ipon-philippines.org/wp-content/uploads/ObserverJournal/Observer_Vol.3_Nr.2_RedBaiting.pdf (S.4-8). Ein Beispiel für die öffentliche Rezeption des Berichtes: https://manilatoday.net/a-quick-initial-brief-on-red-tagging-in-the-philippines-nupl/.
[xi] Ein Blogbeitrag von IPON zu diesem Fall: https://iponphilippinesblog.wordpress.com/2017/07/17/the-case-of-bobby-lingating/.
[xii] Der Appell der 62 Organisationen: https://www.hrw.org/news/2020/08/27/philippines-letter-member-and-observer-states-united-nations-human-rights-council-0.
[xiii] Das Briefing zu Zara Alvarez senden wir Ihnen auf Anfrage gerne zu. Die Dringlichkeitsentschließung: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2020-0292_EN.html.
[xiv] Todesdrohungen dokumentiert auf Facebook: https://www.facebook.com/tinay.palabay/posts/10220626458904170.
Wir bedanken uns ganz herzlich für ihr Interesse an unserer Arbeit!
