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Bangladesh Blog: Glück: verloren und gefunden

(Gelöschtes Mitglied)
(Gelöschtes Mitglied) schrieb am 29.11.2007
Sandra Bulling, Mitarbeiterin der Pressestelle von CARE Deutschland-Luxemburg, schreibt einen Blog aus Bangladesch. Weitere Einträge auch unter www.care.de

3. Glück: Verloren und gefunden

Ein weiterer Tag der langen Autofahrten. Wir fuhren heute viele Stunden, um eines der fünf mobilen Medizinteams zu finden, die CARE zusammen mit dem Dhaka Hospital in betroffene Region um Khulna und Bargerhat gesendet hat. Das Team fährt von Dorf zu Dorf und behandelt täglich hunderte von Patienten. Schließlich haben wir das Team in der Nähe der Sunderban-Magrovenwälder gefunden. Ein Arzt im weißen Kittel sitzt zusammen mit fünf Schwestern an einem Holztisch in der prallen Sonne, geschützt nur durch eine rote Plastikplane. Viele Menschen stehen in der Schlange, um Medikamente zu bekommen und ihre Wunden behandeln zu lassen. Verletzungen, Erkältungen und Durchfall sind die größten Probleme, die dem Team begegnen. “Die Anzahl der durch verschmutztes Wasser hervorgerufenen Krankheiten steigen an”, sagt Dr. Abul Boker. “Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als verdrecktes Wasser zu trinken, denn die Sturmwelle hat die Wasserteiche versalzen.” Es gibt hier kein Leitungswasser, keine Waschbecken, geschweige denn Badezimmer. Auch sehe ich nur selten Latrinen. “Viele Menschen müssen außerdem im Freien übernachten und erkälten sich”. Vor allem für kleine Kinder fatal, denn eine Lungenentzündung kann schnell tödlich enden.

“Wir sind durstig”, sagt mir ein Mann, der in der Schlange ansteht. “Wir wissen, dass es nicht gesund ist, das schmutzige Wasser zu trinken. Aber was sollen wir machen?” Darauf habe ich auch keine Antwort parat. Auch wenn eine der Wasseraufbereitungsanlagen von CARE bis zu 10.000 Liter täglich filtern kann, so reicht das doch nicht aus, um alle Menschen zu erreichen. 6,9 Millionen Menschen sind von den Auswirkungen des Wirbelsturms betroffen, schreibt eine der lokalen Zeitungen heute.

Während ich die Leute beobachte, sehe ich im Augenwinkel eine kleine Hütte. Sie ist winzig, kein Mensch kann aufrecht darin stehen. Die Wände bestehen nur aus Decken und Plastikplanen – ein Patchworkhaus. Vor der Hütte steht eine Frau und hält ein kleines Baby im Arm. Sie winkt mir zu und will mir ihr Haus zeigen. “Nach dem Wirbelsturm habe ich drei Tage lang geglaubt, mein Mann sei tot”, sagt mir Morsheda. Ihr Mann Kailsen war an der Küste um Fisch zu trocknen und damit ein wenig Geld zu verdienen. Als der Sturm kam hat er sich an einen Baum geklammert. Doch die Welle wurde immer höher und Kailsen musste immer höher klettern – bis er schließlich die Spitze der Kokospalme erreichte. Am nächsten Tag konnte er nicht in sein Dorf zurück, denn alle Straßen waren durch umgestürzte Bäume blockiert. In der Zwischenzeit trauerte Morsheda um ihren verloren geglaubten Mann. Drei Tage lang lief die junge Frau durch das Dorf auf der Suche nach der Leiche Kailsen – bis sie ihn schließlich auf ihr Haus zukommen sah. “Ich war schockiert und erleichtert, ich kann es nicht beschreiben”, sagt sie aufgeregt. “Auch wenn wir alles verloren haben, unser Haus, unsere Hühner und unser Enten so bin ich froh. Denn meine Familie ist mit geblieben.”

Auf dem langen Weg zurück nach Khulna muss ich immer wieder an das junge Paar denken. Während ich den wundervollen Sonnenuntergang betrachte frage ich mich, ob noch mehr Menschen so viel Glück im Unglück hatten. Und dass all die Betroffenen ebenso die Kraft und den Willen schöpfen können, sich ihre Zukunft neu aufzubauen. So, wie Morsheda und Kailsen.