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Reisebericht aus Nicaragua – Februar 2019

Jessica Espinoza & XOCO
Jessica Espinoza & XOCO wrote on 04-03-2019
Im Februar ist Birgitta Hahn, Referentin für internationale Zusammenarbeit von TERRE DES FEMMES, zu unserer Partnerorganisation MIRIAM nach Nicaragua gereist. In diesem Interview berichtet sie von ihrer Reise und der Situation der Mädchen und Frauen vor Ort.


Liebe Birgitta, Du kommst gerade von Deiner Reise aus Nicaragua zurück, bei der Du unsere Partnerorganisation MIRIAM besucht hast und vor Ort die Frauen getroffen hast, die an unserem Empowerment-Projekt „Raus aus der Gewalt“ teilnehmen. Welche Fortschritte konnten dank der Unterstützung der Betterplace-Community bisher erzielt werden?

Fast alle Projektziele für das Jahr 2018 wurden erreicht, manche sogar übertroffen...

(1) Trotz der politisch schwierigen Lage und den damit zusammenhängenden Herausforderungen für die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen hat MIRIAM es sehr vielen gewaltbetroffenen Frauen ermöglicht, rechtliche und psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen und sich bei ihrem Weg durch das nicaraguanische Rechtssystem anwaltlich begleiten und vertreten zu lassen. Dieses Ergebnis übertrifft die Erwartungen. Es zeigt nicht nur, dass MIRIAM als kompetente, fürsorgliche und höchst erfolgreiche Beratungseinrichtung von den Frauen wahr- und angenommen wird, sondern dass der Bedarf seit Ausbruch der landesweiten Proteste im April 2018 nochmal gestiegen ist. 

(2) Gleichzeitig haben die Unruhen zu einer etwas geringeren Teilnahme von Frauen an der beruflichen Ausbildung geführt. Zu Jahresbeginn 2018 waren die Einschreibungen für die beruflichen Ausbildungen in Handarbeiten und Schneiderei noch wie erwartet hoch, rund die Hälfte der teilnehmenden Frauen konnte den Weg von ihrem Zuhause zu MIRIAM aufgrund der prekären Sicherheitslage oder aufgrund von Geldmangel bedingt durch den Arbeitsplatzverlust ihres Mannes ab April 2018 jedoch nicht mehr regelmäßig bewältigen oder musste die Ausbildung ganz aufgeben. Letztlich machte trotzdem ein relevanter Anteil der teilnehmenden Frauen ihren zertifizierten Ausbildungsabschluss - für die aktuell sehr herausfordernde Lebens- und Lernsituation ein toller Erfolg! Viele Frauen gründeten im Anschluss eigene Kleinunternehmen und machten sich z.B. mit Häkelprodukten zur Raumdekoration oder einer eigenen Modelinie selbstständig. MIRIAM leitete alle Absolventinnen in der Erstellung eines eigenen Business Plans an. Auch dieses Jahr betreut und berät MIRIAM die frisch gebackenen Unternehmerinnen weiter.

(3) 2018 organisierte MIRIAM eine Fortbildung zu angepassten Beratungsmethoden vor dem Hintergrund des aktuellen politischen Kontextes. Externe Leiterin war eine erfahrene Psychotherapeutin. Die Fortbildung fokussierte sich auf die Ausarbeitung notwendiger Sicherheitsmaßnahmen für das MIRIAM-Team und die Frauen, denen die Projektarbeit zugute kommt, sowie auf Beratungs- und Rechtswegmöglichkeiten, die es erlauben, gewaltbetroffenen Frauen auch in der momentanen Situation wirksam und zeitnah zu ihrem Recht zu verhelfen.

Wie hast Du vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und humanitären Krise die Situation der Frauen vor Ort erlebt?

Die Situation der Frauen in Nicaragua hat sich nach meiner Beobachtung und auf Basis der Gespräche, die ich mit vielen Frauen führen konnte, nochmals erheblich verschlechtert. Zum einen liegt das an der prekären Sicherheitslage, die es vielen Frauen nicht mehr erlaubt, sich frei und wie gewohnt in ihrem Umfeld zu bewegen, den Bus in einen anderen Stadtteil zu nehmen, sich mit ihren Kindern in den Park zu begeben oder bei Dunkelheit noch unterwegs zu sein. Dies schließt wie oben erwähnt auch die Teilnahme an beruflicher Ausbildung zur Verbesserung ihrer persönlichen und beruflichen Zukunft ein.

Zudem liegen weite Teile der Wirtschaft des Landes aktuell am Boden. Viele Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, insbesondere jene, die im Tourismus beschäftigt waren, oder in Branchen, die auf regelmäßige, zahlungsfähige Kundschaft angewiesen sind, wie Restaurants, Kleidungsgeschäfte oder der allgemeine Warenhandel. Dies betrifft zum Teil die Frauen selbst, wenn sie in einem dieser Sektoren beschäftigt waren, häufiger aber ihre Ehepartner, von denen wiederum in der Regel die komplette Familie finanziell abhängt.

Nicht zuletzt hat auch die Gewalt gegen Frauen erneut zugenommen. Dies ist einer allgemein angestiegenen Delinquenz aufgrund des wirtschaftlichen Notstands, aber auch der Zunahme innerfamiliärer Spannungen durch finanziellen Druck, Zukunftsangst und eine stark spürbare gesellschaftliche Spaltung in UnterstützerInnen und KritikerInnen der amtierenden Regierung geschuldet. Dazu kommt leider eine zunehmend inadäquate Aufnahme und Bearbeitung von angezeigten Delikten geschlechtsspezifischer Gewalt. Instanzen des nicaraguanischen Rechtssystems lehnen die Aufnahme von Anzeigen oder Investigation von Gewaltfällen momentan gerne unter dem Vorwand ab, dass sie zunächst mit den "Feinden der Regierung" fertig werden müssten, bevor sie sich mit Randthemen wie häuslicher Gewalt beschäftigen könnten. Es gebe jetzt einfach Wichtigeres zu tun.

Auch werden frauenrechtlichen Organisationen wie MIRIAM im Zuge der aktuellen Propaganda trotz fehlender Beweisgrundlage rasch Agitationen gegen die amtierende Regierung unterstellt, da im April auch viele feministische AktivistInnen auf die Straße gegangen waren. Dies macht es auch für MIRIAM sehr schwer, die Frauen, die sich hilfesuchend an sie wenden, in vollem Umfang zu unterstützen. Doch MIRIAM bleibt hartnäckig, sachlich und ihren Zielen unverändert treu. Sie finden nach wie vor Wege, wie sie die Menschenrechte ihrer Klientinnen wirksam und selbstverständlich legal geltend machen können. Das wird auch so bleiben.

Wie können wir die Mädchen und Frauen in Nicaragua mit unserem Betterplace-Projekt dieses Jahr konkret unterstützen?

Am meisten helfen den Mädchen und Frauen vor Ort wirklich Spenden. Finanzielle Unterstützung wird aktuell dringend benötigt, um z.B. gewaltbetroffenen Frauen, die aufgrund des wirtschaftlichen Notstands nicht ausreichend Geld haben, den Bus zu MIRIAM zu nehmen oder ein x-tes richterliches Gutachten zu bezahlen, effektiv weiterhelfen zu können. Auch die jetzt noch zahlreicheren Termine mit den VertreterInnen des nicaraguanischen Rechtssystems aufgrund von Terminverschiebungen, langen Wartezeiten oder Weiterverweisung an "andere Zuständige" verlangen MIRIAM Mehrkosten ab, die nicht eingeplant waren. Die Frauen vor Ort brauchen wirklich jede Unterstützung, um in dieser schwierigen Zeit trotzdem ihre Rechte verteidigen, sich aus gewaltvollen Bindungen lösen, ihre persönliche und berufliche Zukunft aufbauen und selbstbestimmt leben zu können. 

Viele Menschenrechtsorganisationen sind Repressionen durch die amtierende Regierung ausgesetzt, werden engmaschig kontrolliert oder mussten bereits auf Anweisung schließen. Dazu gehören leider viele frauenrechtliche Organisationen. MIRIAM will gewaltbetroffene Frauen weiter nach all ihren Möglichkeiten unterstützten und gerade jetzt ein verlässlicher Anker für sie bleiben. Auch sollen Frauen weiter niedrigschwellig Zugang zu beruflicher Ausbildung haben und sich selbstbestimmt eine finanziell unabhängige Zukunft aufbauen können. Dafür steht und kämpft MIRIAM auch unter den aktuell sehr schwierigen Bedingungen. 

Helfen Sie MIRIAM dabei und unterstützen sie so Mädchen und Frauen in Nicaragua!


Unterstützen Sie die Mädchen & Frauen in Nicaragua!