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Iris Trübswetter
Iris Trübswetter wrote on 24-04-2024
Bericht über den 24. Hilfstransport der Bayerischen Ostgesellschaft in die Ukraine vom 1. bis 3. März 2024

Ein Stimmungsbericht aus Peretchyn zwei Jahre nach Kriegsbeginn

Krieg, Tod und Verzweiflung sind allgegenwärtig in der kleinen Karpatengemeinde, die mehr als 1000 km von der Kampfzone entfernt ist:

Nahezu täglich ertönen die Sirenen des Luftalarms. Dann heißt es für alle öffentlichen Einrichtungen, sofort die Schutzräume aufzusuchen. Sonst drohen drastische Strafen. Für Kindergärten, Schulen, Universitäten bedeutet das: Ein geregelter Betrieb ist nun schon seit zwei Jahren nicht möglich.

Die Rekrutierung von Soldaten wird immer schwieriger. Der ukrainische Staat greift zu immer strengeren Mitteln, um wehrpflichtige Männer zu rekrutieren. In Peretchyn fand am 29. Februar 2024 in der Art einer Razzia eine systematische Durchsuchung der Wohngebiete statt, um Wehrpflichtige aufzuspüren. Den Erfolg solcher Aktionen stufen Einheimische als gering ein: Wer fliehen wollte, ist längst weg, und noch schützt der Status als Student viele junge Männer vor der Rekrutierung. Es kommt auch zu vielen tragischen Situationen: Ihren Fluchtversuch nach Rumänien über den reißenden Grenzfluss Theiss haben im Lauf der Jahre schon mehr als 20 junge Männer mit dem Leben bezahlt.

Die Zahl der getöteten Soldaten steigt unaufhörlich. Die kleine Gemeinde Peretchyn beklagt bereits 27 gefallene Soldaten. Ihr Begräbnis findet jeweils unter großer öffentlicher Teilnahme im neuen, etwas außerhalb des Ortes gelegenen Friedhof statt. Erst Ende Februar wurde ein Arzt bestattet, der bereits seit 2014 im Donbass eingesetzt war und bei der Bombardierung eines Feldlazaretts ums Leben kam. Die von Präsident Zelenskij genannte Zahl von 31 000 getöteten Soldaten glaubt hier niemand, sie dürfte um ein Vielfaches höher liegen.



Das frische Grab eines getöteten Militärarztes auf dem Friedhof Peretchyn

Kein Ende des Kriegs ist in Sicht und die Hoffnung auf militärische Erfolge sinkt. Hier wissen alle genau, wie haushoch die ukrainischen Soldaten dem russischen Gegner unterlegen sind, wie ausgelaugt die Kräfte nach zwei Jahren Krieg sind. Die aktuellen Berichte über eine Zuspitzung der Lage in Transnistrien schürt Ängste, zumal eine dortige Eskalation die Front in bedenkliche Nähe zu den Karpaten rücken würde. Viele klammern sich an Erfolgsmeldungen von erfolgreichen ukrainischen Drohnenangriffen, die über TikTok-Videos starke Verbreitung finden. Der dramatisch schwierigen Lage nach der Aufgabe der umkämpften Stadt Avdiivka durch die Ukraine kann das aber keineswegs entgegenwirken.

Ein zerstörtes, vermintes Land, das sich über die gesamte Frontlänge von 1000 km in einer Tiefe von 150 km erstreckt: Das ist das Ergebnis von nunmehr 2 Jahren Krieg. Das betroffene Gebiet, wo sich früher florierende Industriestädte, fruchtbare landwirtschaftliche Flächen und viel unberührte Natur abwechselten, ist auf absehbare Zeit unbewohnbar geworden. 

Das ist in etwa das Bild, das Mischa und Diana Voron, unsere Gastgeber in Peretchyn, von der Lage zeichnen. Ihr munterer dreijähriger Sohn Mark wächst in eine Welt, die von Krieg und Zerstörung geprägt ist. Kein Wunder, dass die Geburtenentwicklung in der Ukraine stark rückläufig ist. 

Der Schwerpunkt unseres Hilfstransports lag diesmal auf Lebensmitteln für die Versorgung der Flüchtlinge und Möbeln zur Ausstattung der Aufenthaltsräume. Von den aktuell ca. 4600 in Peretchyn registrierten Binnenflüchtlingen leben die allermeisten mittlerweile in privaten Unterkünften. In den Schulgebäuden sind aktuell noch etwa 200 Flüchtlinge untergebracht. Davon sind 86 Flüchtlinge seit Beginn des Kriegs in Peretchyn. Eine unzumutbare, unhaltbare Situation, für die sich glücklicherweise eine Besserung abzeichnet. In einem großen sowjetischen Berufsschul-Internat im Ortsteil Simer wurden mit Mitteln internationaler Organisationen zwei Stockwerke saniert, in denen im Endausbau für 120 Personen Platz ist. Dann gibt es endlich abgeschlossene Wohnbereiche mit eigenen Sanitäranlagen und Küchen. Was für ein Fortschritt!



Wohnräume für eine dreiköpfige Familie in der neuen Unterkunft im Ortsteil Simer

Links Volodymir, 97 Jahre, geflohen mit Tochter Valja und Schwiegersohn aus Isium

Die bevorstehende Übersiedlung von der Schule im Ortszentrum nach Simer ist naturgemäß gegenwärtig ein Hauptthema bei den Gesprächen. Eine Familie, die aus Isium nahe der Front stammt, konnte bereits umziehen, allerdings nicht in die oberen renovierten Stockwerke, sondern in den zweiten Stock. Denn der 97-jährige Großvater Volodymir ist gehbehindert. Die Räume wirken ausgesprochen freundlich und angenehm, auch wenn der kalte Betonboden noch etwas stört. Die Stadt Isium wurde nach monatelanger russischer Besetzung zwar wieder von der Ukraine zurückerobert, aber das Haus der Familie war durch Bomben stark beschädigt, das Dach war weggebombt. Russische Soldaten hatten in der Folge den gesamten Besitz geplündert. Wie hätten sie dorthin zurückkehren können? Nun sind sie mit den zwei Zimmern im neuen „Heim“ ganz zufrieden. Volodymirs Tochter Valja kann sich als ehemalige Krankenschwester nicht nur professionell um ihren Vater kümmern, sondern auch für alle Hausbewohner hilfreich sein. Sie verbreitet eine überaus positive Stimmung, auch wenn ihre Erzählungen stark um die traumatischen Fluchterlebnisse kreisen: Zu dritt mussten sie fluchtartig ihr Haus in Isium verlassen und fanden Unterschlupf im Keller eines anderen Hauses, wo sie sich 12 Tage in beständiger Todesangst wegen pausenloser Bombardierung aufhielten und von eingemachtem Gemüse notdürftig ernährten. Freiwillige Helfer übernahmen die dramatische Evakuierung in die Stadt Slowjansk, von wo aus sie zwei Tage im vollgestopften Zug nach Transkarpatien fuhren. 



Valja, geflohen aus dem Gebiet Lugansk, mit ihren beiden Kindern und dem Dackel Shanka

Eine andere Familie überlegt noch, ob sie aus der Peretchyner Schule nach Simer übersiedelt. Die Mutter, sie heißt ebenso Valja, lebt mit ihren beiden Kindern sowie dem Dackel Shanka und einem Kakadu in einem Klassenraum. Sie stammen aus dem Gebiet Lugansk, das nach wie vor russisch besetzt ist. Von ihrem Wohnhaus im Gebiet Lugansk ist buchstäblich nichts übriggeblieben. So ist auch die Wiederbeschaffung von Dokumenten äußerst schwierig, zumal auch die gesamte Administration der Ortschaft nicht mehr existiert. Die beiden Kinder „besuchen“ nach wie vor die Lugansker Heimatschule in Form von Online-Unterricht, was nun schon zwei Jahre einigermaßen funktioniert. Natürlich könnten sie auch in die hiesigen Schulen gehen. Aber da gibt es eine große Barriere: Sie sprechen ausschließlich Russisch und müssten erst Ukrainisch lernen. Dazu kommen noch die Belastungen durch die traumatischen Erfahrungen. 

Immerhin: Auch für die in der Schule verbleibenden Binnenflüchtlinge haben sich die Bedingungen im Lauf der zwei Jahre sehr verbessert. Mit vereinten Kräften, unter anderem auch von der BOG, wurden Aufenthaltsräume, sanitäre Einrichtungen und Küche gut ausgestattet. Gekocht wird in zwei Schichten: Erst für die Kinder der Grundschule, dann für die Binnenflüchtlinge. Mit vereinten Kräften ist es gelungen, das entsetzliche Los dieser Menschen etwas erträglicher zu gestalten. 

 



Aufenthaltsraum für Kinder in der Flüchtlingsunterkunft Peretchyn, Möbelspenden BOG

Ab dem 1.4.2024 gelten für humanitäre Hilfslieferungen in die Ukraine neue Regeln. Sowohl die Geber, also die BOG, als auch die Empfänger, in unserem Fall die Gemeinde Peretchyn, müssen Sendungen digital erfassen und die Verteilung im Detail dokumentieren. Dies stellt alle Beteiligten vor neue Herausforderungen. Wir möchten bis zu diesem Zeitpunkt unsere Lagerbestände in Taufkirchen so weit wie möglich reduzieren. Dann sehen wir weiter. 

Die Unterstützung der Binnenflüchtlinge in Peretchyn durch finanzielle Zuwendungen ist davon nicht betroffen. Sie ist ebenso bitter notwendig wie die Lebensmittelhilfe für die ärmsten Familien. Ständig erreichen uns von Olga Barsak Meldungen über akute Notfälle, ausgelöst durch Krankheiten oder Todesfälle. Um die größte Not zu lindern, wird die BOG weiterhin regelmäßig helfen. Dazu sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen.