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Im Rollstuhl zur Nordsee + Marathon Frankfurt 2024

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Schritt für Schritt - Rückblick auf unseren gemeinsamen Spendenlauf zur Nordsee

Daniel  Buschatz
Daniel Buschatz wrote on 26-10-2024


Foto: Matthias Cremer

Von Daniel Buschatz

Bielefeld-Bethel. Freitag, 26.7.2024.

Ich sitze in der Teeküche im Kinderhospiz, 1. Etage. Entlastungsurlaub. Ausschlafen. Verantwortung abgeben. Es ist einer meiner Lieblingsorte hier. Und ich tippe ganz viele Worte in mein Smartphone, um die gesamte große Reise für mich persönlich abschließen und meinen Blick wieder auf neue Dinge richten zu können. Vielleicht auch auf neue sportliche Herausforderungen, wer weiß.


Eine Woche ist mittlerweile vergangen seit unserem Zieleinlauf nach 359 km in Norddeich-Mole am dortigen Hafen. Es war ein soooo unglaublich weiter Weg, und besonders am Anfang hatte ich immense Zweifel am Sinn dieser Expedition und insbesondere auch an der Machbarkeit, diese lange Distanz - mit Rollstuhl vorneweg - wirklich laufen zu können.


Meine große Sehnsucht war es, diese Tour komplett zu schaffen. Gleichzeitig hing die Tour immer an einem seidenen Faden. Denn damit das große Ziel (Zieleinlauf auf der Fähre nach Norderney) gelingen konnte, musste alles passen. Wirklich ALLES. Im Folgenden habe ich viele Gedanken notiert und neu für mich sortiert, die den Erfolg unserer gemeinsamen Mission möglich gemacht hat. Schritt für Schritt.


1. Gesundheit als wichtigstes Gut


Das A und O für eine solche Expedition ist Gesundheit. Niklas musste gesund & fit sein, Spaß haben (!) und keine schweren Anfälle erleiden. Die Nächte über war er wie immer an einem mobilen Monitor angeschlossen - und es gab tatsächlich keinen einzigen Alarm, was Sauerstoffsättigung oder Herzfrequenz angeht. Kein einziger Alarm, vierzehn Nächte, in denen Niklas fabelhaft geschlafen hat trotz ständig wechselnder Unterkünfte. Vor fünf Jahren wäre das noch undenkbar gewesen!


Natürlich musste auch ich selbst gesund bleiben. Ernährung mit möglichst viel Obst und Salat, kein Alkohol, möglichst gute Kohlenhydrate - das war eine Grundlage dafür. Und: Die Beine mussten natürlich mitmachen - nie zuvor hatte ich eine solche tägliche Belastung in der Realität testen können. Auf jedes Zwicken im Knie oder an der Achillessehne habe ich sofort reagiert, bin vom Joggen ins Gehen übergegangen, habe vollkommen auf Körpersignale geachtet, wollte die Mission nicht gefährden. Dabei  habe ich regelmäßig verschiedene Dehnübungen gemacht, Oberschenkel massiert, vor dem Schlafengehen Wechselduschen mit warmem und kaltem Wasser durchgeführt. Ab Tag 4 (nach Winterswijk) hatte ich praktisch keinen Muskelkater mehr, die Beine fühlten sich tatsächlich jeden Morgen frisch an. Sonst kenne ich Formschwankungen von Tag zu Tag. Stattdessen fühlte ich mich ab Tag 4 jeden Morgen fit und die ersten 8-12 km bin ich durchgejoggt (an Tag 10 und 11 bin ich erst gegangen, weil irgendwas am Sprunggelenk zwickte - und danach lief es wieder rund). Insgesamt bin ich auf den 13 Etappen ca. 240 km gejoggt und 120 km gegangen - der Wechsel zwischen beiden Varianten war der perfekte Rhythmus für mich. Dazu kamen die fast täglichen Laufabschnitte für Niklas. Ca. 30 Minuten für 250 Meter, gute 2-3 km insgesamt. Das langsame Abrollen war für mich und meine Fußgelenke auch wohltuend - vielleicht ging auch deshalb alles ohne Verletzungen über die Bühne.


2. Wenn der Kopf mal nicht so richtig mitmacht...


Mental schwierige Situationen mussten wir gemeinsam durchstehen. Streckensperrungen, Umwege, militärische Sperrgebiete, heiße Tage, nasse Tage. Wir haben einen Nordsee-Turbo entwickelt - wann immer Niklas seine Hände nach oben streckte oder sich seitlich aus dem Wagen beugte, hieß das: Nordsee-Turbo! Hieß: Seitlich neben Niklas laufen, Hände einhaken und den Wagen so hinter uns her ziehen. Das Lachen von Niklas bei jedem Turbo sprach Bände!


Enorm weiter geholfen hat mir an den ersten Tagen die berühmte Stelle aus "Momo" von Michael Ende, in der Beppo Straßenfeger über seine alltägliche Arbeit nachdenkt:


Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte.

„Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel, „es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“

Er blickte eine Weile vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“

Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“

Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“ Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: „Das ist wichtig."


(Michael Ende: Momo. Thienemanns Verlag, Stuttgart 1973, S. 35–37)


An Tag 1 war ich tatsächlich außer Puste. Es gab zwar schon unseren Nordsee-Turbo, aber ich fühlte mich irgendwie gehetzt. An Tag 3 dachte ich an die ganze noch vor mir liegende Strecke (zumal ich nur gehen und nicht joggen konnte) und daran, dass ich schon so gerne auf der letzten Etappe wäre. Und suchte über Kindle nach dem Momo-Text. Ab unserem "Bergfest" in Meppen, als ab Etappe 8, entwickelte ich mit Niklas einen neuen Laufspruch, bei dem Niklas das allerletzte Wort mitzusprechen lernte - und das gelang ihm von Tag zu Tag immer besser.


"Niklas auf der Nordseetour,

viele Stunden auf der Uhr.

Kreischt die Möwe, weht das Haar,

ist die Nordsee schon ganz nah."


Ab Etappe 10 war es Freude pur. Jede Anstrengung lächelte ich weg, es war wie die Kür nach der Pflicht. Und das vier wundervolle Tage lang.


3. Umgang mit dem eigenen Erwartungsdruck


Mit jedem zusätzlichen Sponsor stieg anfangs irgendwie auch der Druck, die Strecke unbedingt schaffen zu müssen. Auch aus diesem Grunde habe ich zuvor nur ganz wenigen Leuten vorab von unserer geplanten Tour erzählt. Am vorletzten Schultag erzählte ich es meiner Alpakaklasse an meiner Grundschule - um auch zu zeigen, dass man einfach etwas Mut haben muss, um besondere Ziele erreichen zu können. Und dass man es einfach versuchen muss. Und dass der Versuch alleine schon ein Erfolg ist und ein Abbruch kein Scheitern wäre. Gut passt dazu die erste Strophe aus dem Song "Jeder für Jeden" von Herbert Grönemeyer:


"Wir sind fest im Jetzt, es geht auf und nach vorn

Eine neue Aufgabe, es wird gespielt, nicht verlor'n

Die Furcht vorm Fall, die lohnt sich nicht

Denn jeder Versuch ist ein Schatz in sich

Es gibt Reste von Zweifeln, die deine Herzen durchwühl'n

Aber es ist nur der Atem, der sich alleine anfühlt."



Die früh aufgekommene Idee von unserem Nachbarn Theo, Radio K. W. für die Spendenaktion mit ins Boot zu holen, habe ich zunächst ausgeschlagen. Sorge vor zu viel Öffentlichkeit, Sorge vor zu viel Druck, der damit einhergeht. Nach den ersten hundert Kilometern war ich aber bereit dazu - und eine gute Kollegin hat schließlich den Kontakt hergestellt. Alles zu seiner Zeit!


Für Interviewanfragen von NRZ und der Rheinischen Post war ich bereit, als wir Emden bzw. Greetsiel erreichten. Ein guter Laufkollege von Runnershigh Niederrhein hatte für den Kontakt gesorgt - und das bedeutete für die Spendenaktion eine ganz neue Dynamik. Der seltsame Erwartungsdruck auf mich selbst hörte im Grunde in dem Augenblick auf, als ich das Ortseingangsschild von Papenburg erreicht hatte. Hier fühlte es sich so an, als sei ich gewissermaßen schon am Ziel - Möwen, Schiffe, Wind. Alles wie an der Nordsee. Alles wie bei unserem Laufspruch. IVieles ist einfach Kopfsache. Oder wie es angeblich mal Boris Becker formuliert haben soll: "Gewonnen und verloren wird zwischen den Ohren“.


4. Motivation auf der Tour


Immer wieder erreichten uns kleinere und größere Nachrichten oder Bilder, die für zusätzliche Motivation sorgten. Viele Sponsoren sendeten nicht nur viel Geld für das Kinderhospiz, sondern hinterließen auch noch wunderbare, motivierende Kommentare. Besonders denke ich da gerade an Isa und ihre Fahrradgruppe oder an Martin.


Die mit Abstand wichtigste Motivation kam aus der Nachbarschaft von Petra. Sie muss es gespürt haben, wie schwierig die Etappe 3 für mich persönlich war. Und dann kam von ihr ein erster Motivations-Yogi: "Weißt du, nach dem härtesten Aufstieg folgt meist die beste Aussicht. Bleib dran!" Für mich persönlich war es der entscheidende Gamechanger, um tatsächlich dran zu bleiben. Jeden Tag kamen neue Motivations-Yogis.

Auf der härtesten Tour mit über 40 Kilometern Länge erreichte uns von Theo und Petra ein Motivationsvideo, das seinesgleichen sucht. Diese Beispiele stehen stellvertretend für viele wundervolle Nachrichten von Nachbarn, Freunden, Kollegen, Familie. Allesamt von Personen, die genau spürten, wie wichtig mir eine erfolgreiche Expedition war. Danke, danke, danke! Ohne diesen Support hätten wir es vielleicht nicht geschafft und die Tour wäre nicht zu der wunderbaren Reise geworden, die Niklas und mich dauerhaft im Herzen begleiten wird.



Danksagung an alle, die zum Erfolg unserer Expedition beigetragen haben


Ein besonderer Dank gilt allen 231 Personen, die für das Kinder- und Jugendhospiz bis heute auf unserer Spendenseite von Betterplace (Suchbegriff "Nordsee") gespendet haben. Viele persönliche Nachrichten haben mich per E-Mail oder Messenger erreicht, teils von Personen, die wir auf unserer Tour kennengelernt haben, teils von Personen, die von uns aus den Medien erfahren haben und denen wir mit unserem Optimismus offenbar sogar selbst neue Impulse mitgegeben haben. Das erfüllt mich mit unbändigem Stolz und großer innerer Zufriedenheit. Und zeigt mir, dass unsere verrückte Idee wirklich Sinn ergeben hat.


Ihr Sponsoren habt für eine unglaubliche Spendensumme von mittlerweile 8255 Euro gesorgt! Am 25.7.24 haben wir die Zwischensumme von 8115 Euro via Betterplace an das Kinderhospiz überweisen lassen und den Spendenscheck vor Ort Herrn Meistrell in besonderer Form überreicht. Unseren Spendenlauf haben wir dabei als Familie mithilfe gebastelter Ortseingangsschilder von Neukirchen-Vluyn und Norderney im Zeitraffer nachgestellt und einen Sonnenstrahl mit allen namentlich bekannten Spendern gestaltet. Und dieser Sonnenstrahl scheint symbolisch von der einen bis zu der anderen Ortschaft - und irgendwo dazwischen liegt ja tatsächlich Bielefeld. (Anmerkung: Der Sonnenstrahl ist ein Symbol, das im Kinderhospiz Bethel vielfach Verwendung findet. Jedes erkrankte oder verstorbene Kind erhält im Hospiz einen Sonnenstrahl, der von der Familie des Kindes gestaltet wird.)


Danke an alle Mitarbeiter im Kinder- und Jugendhospiz Bethel. Ihr leistet ganz außerordentliche Arbeit, die mit Worten nicht zu beschreiben ist. Ohne den Hintergrund, dass wir hier im Anschluss an den Spendenlauf einen Entlastungsurlaub mit der gesamten Familie verbringen dürfen, wäre ich vermutlich nie zusammen mit Niklas auf diese Nordseetour gegangen. Dafür hätte mir sonst die notwendige Kraft und mentale Stärke einfach gefehlt.


Danke an die Physiotherapeutinnen und Therapeuten, die Niklas in den letzten Jahren begleitet haben und dafür gesorgt haben, dass Niklas so viel selbst kann. Danke an Janne, Jonas, Karo, Frau Mohr und viele weitere Therapeuten.


Danke an Katha. Durch deinen Einsatz erst als Integrationshilfe, dann als Reittherapeutin, hat Niklas so viele Fertigkeiten erworben und zudem eine wichtige Bezugsperson in seinem Leben gefunden.


Danke an Herrn Krebs, der als Orthopädiemechaniker mit unnachahmlichem Einfühlungsvermögen Niklas' Orthesen für diese Reise gefertigt hat und seine Entwicklung seit über zehn Jahren fördert.


Danke an die Orthopäden, allen voran an Herrn Oczipka aus der Schönklinik in München Harlaching, der durch einen vorzüglichen minimalinvasiven Eingriff Niklas' Spastik in Grenzen halten konnte und dafür gesorgt hat, dass sich Niklas weitgehend schmerzfrei bewegen kann.


Danke an Gudrun Kiesheyer. Von dir habe ich gelernt, wie stark ein Mensch kämpfen kann. Mit wie viel Herzlichkeit und Lebensfreude man anderen Menschen begegnen kann. Du bist die ganze Tour in meinem Herzen mitgelaufen. R.I.P.


Danke an meine ganze Familie. Ohne eure Unterstützung wäre dieser Lauf nie möglich geworden.


Danke an Niklas, dass du diese Reise einfach so mitgemacht hast. Du hast einen großartigen Job gemacht, bist super gelaufen, hast mich mit deinen "Papiiiii!"- und "Werder!"-Rufen angefeuert, hast beim Nordsee-Turbo den ganzen Wagen mit angeschoben. Ist die Nordsee schon ganz N A H ...

Niklas, du bist ein wunderbarer Junge!!! 💚❤️