Dating-Shows in Finnland, kein Nikolausgeschenk und Dankbarkeit
Liebe Aufbruch-Community!
Ich war im Dezember eine Woche als Begleitung einer Jugendgruppe in einem europäischen Projekt in Tampere, Helsinki. Die Temperaturen und das Schneeweiß dort waren wunderschön und haben meine Weihnachtsstimmung geweckt.
Ein wenig verwirrend waren hingegen die Gesetze und Gewohnheiten der Finnen. An einem Abend haben wir den Club “Lola” besucht. Einlass ab 18 und über 30 hat man dort eigentlich nichts verloren. Als die ersten Besucherinnen auf der Tanzfläche waren (das waren wir), erschien ein Mann im Weihnachtsmann-Kostüm, der einen kurzen Showact an der Tanzstange hinlegte und uns dann ansprach: “Will you be naughty tonight? Then you can win some presents.” Hmh… Der liebe Weihnachtsmann hatte Sexspielzeuge in seinem Jutesack mitgebracht. Interessant... Wir fanden das alle doof und haben den Lola-Club verlassen. Es ging weiter, Pizza essen um Mitternacht. In der finnischen Pizzeria lief eine Datingshow auf dem Monitor. Eine Datingshow, wie wir sie bisher nicht gesehen haben. Die "Kandidatinnen" waren alle splitterfasernackt und der “Suchende” bewertete ihre Körperteile. Unfassbares Bodyshaming im öffentlichen Fernsehen. Kommentar einer jungen Mitreisenden: “Ich muss hier meinen Ausweis zeigen, wenn ich ein Feuerzeug kaufen will und ab 21 Uhr gibt es kein Bier mehr im Geschäft, aber so eine Show wird mir im öffentlichen Raum quasi vor’s Gesicht gebunden!” In dem Moment war ich dankbar, in Deutschland zu wohnen.
Weihnachten ist nicht nur das Fest der Freude, sondern auch ein Fest der Dankbarkeit. Ich erinnere mich in dieser Zeit gerne an Geschenke, die ich im Laufe des vergangenen Jahres erhalten habe. Manche Geschenke kommen klein und unscheinbar daher und man erkennt sie erst später, wie eine Erkenntnis, die nicht selten aus einem schmerzhaften Prozess resultiert. Wie der funkelnde Stern, der aus dem Chaos geboren wurde.
Ihr habt uns (Matthias und Kristine) in so einem Aufbruch-Prozess begleitet und wir sagen erneut: Danke, danke, danke! Weiter unten erzähle ich ein wenig von diesem Prozess und was er bei uns Filmemachern bewirkt hat.
Wir wünschen euch allen, dass der Winter dieses Jahr warm sein mag, in euren Häusern/Wohnungen und euren Herzen!
Guten Rutsch!
Kristine & Matthias
Nikolaus bei den Filmemachern
Wir waren eine Weile still. Das lag daran, dass wir wohl beide große Hoffnung in unseren Antrag auf Filmförderung gelegt hatten, den wir am 30.10.2022 abgesendet haben. Es war ja nicht der erste Antrag für öffentliche Gelder, sondern einer von vielen. Aber es war der erste Antrag bei eben dieser Filmförderungsanstalt und es war das erste Mal, dass wir eine (im Vergleich zu den normalen Kosten für einen Dokumentarfilm) so lächerlich kleine Summe zur Postproduktion beantragt hatten, mit so guten Argumenten, dass wir uns sehr gute Chancen ausrechneten. Wir hatten Material eingereicht, ein Pitch-Video gedreht, Dokumente und Argumente zusammengestellt, einen hohen Bundesland-Effekt vorzuweisen… Am Nachmittag des fünften Dezember erhielt ich eine Email mit 5 Standard-Sätzen plus einem schlichten Alles-Gute-Wunsch, ohne Weihnachtsgruß - eine Absage, wie sie unpersönlicher nicht sein könnte…
Dann habe ich überlegt: Was wollen wir unseren Spender/innen zum Jahresende schreiben? Jetzt, da wir selbst irgendwie enttäuscht sind… Ich stellte Matthias die Frage, ob wir etwas über unsere persönliche Entwicklung schreiben wollen. Die Sprachnachricht, die ich dann erhielt, hat das letzte Fünkchen Enttäuschung aus mir herausgerissen. Ich habe sie euch transkribiert, weil so viel Weihnachtliches darin steckt:
Ja, ich finde es auch schön, dass wir uns mit einer persönlichen Botschaft aus dem Jahr verabschieden, und uns nochmal bedanken für all die Unterstützung. Dass wir sagen, dass wir jetzt erst recht dranbleiben, auch wenn uns die Mittel etwas ausgehen. Und ich fände es ganz schön, wenn wir auch zeigen, wie wir uns persönlich entwickeln. Zum Beispiel mit der Männerarbeit, die ich gerade mache. Bewusstseinsbildung unter Männern zu den Themen Gewalt gegen Frauen, Prostitution, Pornografie.Diese Männerarbeit, die ist schon echt herausfordernd, da muss ich noch viele Ressourcen und Fähigkeiten in mir ausbilden. Aber ich merke schon, das ist wichtige Arbeit und auch nährende Arbeit, von den Begegnungen her, das ist schon schön, auch wenn es immer wieder Widerstände gibt. Das ist für mich die neue Herausforderung, in die Konflikte persönlich reinzugehen und darin an einen verbindenden Punkt zu kommen. Das finde ich spannend, die Polarisierungen aufzuheben. Und auch sonst bin ich dabei herauszufinden, wie ich mit sinnvoller Arbeit mehr Geld verdienen kann. Ich möchte komplett weg von diesem ganzen Unternehmensbereich, da habe ich gerade überhaupt keinen Bock mehr drauf. … Also es ist bei mir einiges in Bewegung. Das ist schön und gut, aber auch sehr anstrengend und ich freue mich auf den Jahresausklang. Aber all das wäre ohne unser Projekt nicht gewesen, ohne die Auseinandersetzung mit diesem Thema, wäre ich nie auf diesen Weg gekommen. Ich spüre einfach eine riesige Dankbarkeit, dass du das mit mir gemacht und gewagt hast. Ja, das hat mein Leben verändert und verändert es gerade immer noch. Und ich bin auch dir total dankbar, dass wir da durch Höhen und Tiefen gehen konnten. Auch wenn es ein absolut beschissenes Thema ist, generiert das gerade so viel Lebenskraft für mich, Perspektiven und sinnhafte Betätigungsfelder. Das zeigt einfach, es lohnt sich halt auch wirklich, sich mit den Widrigkeiten unserer Gesellschaft sorgsam auseinanderzusetzen, da mutig zu sein und Ausbrüche zu wagen. Ohne dich hätte ich es glaube ich nicht so geschafft oder überhaupt gewagt, das muss ich auch echt sagen.
Dazu will ich gar nicht viel ergänzen, außer, dass ich mega froh bin, einen Menschen wie Matthias kennen zu dürfen, von dem und mit dem ich in diesem Prozess viel lernen durfte. Und natürlich hätte auch ich ohne ihn all das bisher Geschaffte nicht realisieren können. Insbesondere nehme ich diesen Satz als mein persönliches Weihnachtsgeschenk von Matthias mit: Das zeigt einfach, es lohnt sich halt auch wirklich, sich mit den Widrigkeiten unserer Gesellschaft sorgsam auseinanderzusetzen, da mutig zu sein und Ausbrüche zu wagen.