Skip to main contentShow accessibility statement
Change the world with your donation

Haiti: Heimat mit Hindernissen

(Deleted User)
(Deleted User) wrote on 28-02-2011

Liebe Unterstützer,

auch 2011 begleitet uns der Wiederaufbau in Haiti - Sabine Wilke berichtet in ihrem Blog über das Dilemma der qualifizierten Haitianer: Bleiben und ihr Land aufbauen oder ihren Kindern ein sicheres und geborgenes Familienleben im Ausland bieten?

"Im Landeanflug auf Port-au-Prince geht der Blick aus dem Fenster über die Stadt und auch von oben kann man deutlich die Ruinen und Zeltlager erkennen. Ich denke darüber nach, welche Menschen in dieses Land kommen und wer es wiederum verlässt. Der Gang durch den Zoll ist für Europäer einfach, drei Monate kann man sich in Haiti ohne Visum aufhalten. Täglich spucken die Flugzeuge internationale Helfer aus, aber auch Haitianer, die Verwandte im Ausland besucht haben oder andersrum ihre Familie in Haiti besuchen. Einige Quellen sprechen davon, dass 85 Prozent der Haitianer, die einen Hochschulabschluss haben, emigrieren. Insgesamt leben rund zwei Millionen Menschen außerhalb ihres Heimatlandes.

Ob er schon einmal auf Kuba war, frage ich einen CARE-Fahrer morgens auf dem Weg ins Büro, als ein Auto mit Medizinern der Nachbarinsel an uns vorbeifährt. Seine Antwort schießt so spontan wie deutlich aus ihm hervor: „Wenn ich jemals auf Kuba gewesen wäre, wäre ich jetzt kein Fahrer.“ Die Rechnung ist einfach: Ein Aufenthalt im Ausland öffnet die Tür zu mehr Bildung, Wohlstand und Sicherheit. Wer in Haiti bleibt, muss für diese Dinge täglich kämpfen.

Bleiben oder weggehen?

Es bleiben diejenigen, die nicht das Geld oder die Ausbildung haben, um anderswo ihr Leben zu gestalten. Aber nicht ausschließlich. Es bleiben auch einige, die ihr Land nicht aufgeben möchten. Wie oft treffe ich hochqualifizierte, engagierte Menschen, die sich bewusst dafür entschieden haben, in Haiti zu leben oder nach dem Erdbeben zurückgekehrt sind. Ihr Alltag ist bei weitem nicht einfach und sie könnten in den USA oder anderswo ein nach unseren Maßstäben besseres Leben führen. Dennoch wollen sie ihre Heimat nicht aufgeben. Vor diesem Engagement kann man sich nur verneigen.

Natürlich sollte den Emigranten kein Vorwurf gemacht werden, denn sie suchen lediglich nach der Möglichkeit, ein Leben in zumindest bescheidenem Wohlstand und Sicherheit zu führen. Und das ist ihr gutes Recht. Andererseits macht es der Exodus auch besonders schwierig, Haiti wieder aufzubauen. Viele Hilfsorganisationen müssen lange suchen, um qualifizierte Mitarbeiter zu finden und Positionen langfristig zu besetzen. Oft entscheiden sich Familienväter und Mütter nach einigen Monaten, Haiti wieder zu verlassen, weil die Lebensumstände so schwierig sind und sie ihren Kindern anderswo ein sorgloseres, freieres Leben bieten können.

Zu Weihnachten sind einige CARE-Kollegen zu ihren Verwandten gefahren, aber das waren keine paar Stunden auf der Autobahn, wie es in Deutschland der Fall ist. Die Flüge gingen nach Kanada, in die USA oder in die Dominikanische Republik. Viele haben nach dem Erdbeben ihre Kinder außer Landes gebracht, sie waren traumatisiert und das Arbeitspensum ihrer Eltern ließ nicht genügend Zeit für das gemeinsame Verarbeiten des Erlebten. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwierig diese Entscheidung sein muss: Bleiben und helfen oder gehen und damit der Familie und sich selbst ein besseres Leben ermöglichen?

Die Welt trifft sich in Haiti

Neben lokalen Helfern sind in Haiti viele internationale Fachkräfte, die ihre Heimat und ihre Familien hinter sich lassen, um humanitäre Hilfe zu leisten und beim Wiederaufbau mitzuarbeiten. Viele CARE-Kollegen verbringen Monate weit weg von ihren Kindern und Partnern. Aus allen Erdteilen kommen sie, von Bangladesch über Zimbabwe bis nach Kanada. Ein bisschen Heimat und Vertrautheit breitet sich aus, wenn man alten Bekannten aus früheren Einsatzgebieten begegnet. Ich habe neulich Florence getroffen, eine Kollegin aus Ruanda.  Vor gut einem Jahr haben wir uns in dem kleinen ostafrikanischen Land kennengelernt und ich schrieb im Blog über sie und ihre Arbeit. Wer hätte damals gedacht, dass wir 2011 gemeinsam bei einem Mangosaft in Port-au-Prince sitzen würden?

Florence ist nicht die einzige alte Bekannte, die ich in Haiti wiedersehe, und das geht eigentlich jedem hier ähnlich. Man trifft sich immer wieder irgendwo auf der Welt, wenn man längere Zeit im Milieu der Hilfsorganisationen und Vereinten Nationen arbeitet. Sei es nach Naturkatastrophen, bei Konferenzen oder an einem Flughafen im Transitbereich. Die Freude ist natürlich immer groß und man hat sich viel zu erzählen. Aber irgendwann ist es dann wieder Zeit, sich zu verabschieden. Denn Haiti ist eine Etappe im Nomadenleben von humanitären Helfern. Für die Haitianer selbst ist das Land aber keine Etappe, sondern Heimat. Eine Heimat, die schnell wieder lebenswert werden muss."

Herzliche Grüße,

Anke Barth