Skip to main contentShow accessibility statement
Change the world with your donation

Stille Nächte, reloaded: Weihnachten in Haiti

(Deleted User)
(Deleted User) wrote on 22-12-2010

Liebe Unterstützer,

Weihnachten naht, mit viel Schnee. Woanders dagegen ist es jetzt zur Weihnachtszeit heiß. In Haiti essen die Kinder an Weihnachten normalerweise Eis. Dieses Jahr ist alles anders. CARE-Helferin Sabine Wilke berichtet, wie sie die Weihnachtszeit in Haiti erlebt. Sie wünscht sich einen Knopf "Neu laden" für Haiti 2011:

"Eigentlich sollte das kein Blogeintrag über Weihnachten werden. Nachrichten von Schneechaos, Weihnachtsmärkten und Plätzchenbacken wirken hier in Haiti wie von einem anderen Stern. Am Montag stand ich in der prallen Sonne in der Stadt Léogâne neben dröhnenden Boxen, die auf der Ladefläche eines Autos befestigt waren. Wir sind durch die Gemeinde gezogen und haben Botschaften gegen sexuelle Gewalt an Frauen verbreitet und mit der Bevölkerung diskutiert. In solchen Momenten ist Heiligabend wirklich weit weg.

Es ist wieder ruhiger geworden in Port-au-Prince und im ganzen Land, nachdem die Präsidentschaftswahlen Ende November zu mehrtägigen Protesten geführt haben. So können wir uns wieder freier bewegen, und die CARE-Teams holen einiges an Arbeit nach. Zum Beispiel diese Karawane, die eigentlich für die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ geplant war. Aber auch mit Verspätung kommt die Botschaft an. „Ich finde es gut, dass heute klar gesagt wurde, dass niemand zum Sex gezwungen werden darf“, erzählt mir eine Frau.

Auf dem Rückweg nach Port-au-Prince stehen wir wie immer im Stau. Links und rechts Blechkarossen, am Straßenrand halbzerstörte Häuser, Pfützen aus Abwasser und Müll, und hier und da ein paar kleine Geschäfte. Ein Friseur, ein Internetcafé – von Weihnachten aber keine Spur. Ein Foto in der Dämmerung lässt die flackernden Lichter ein bisschen wie Weihnachtsbeleuchtung aussehen, aber dies ist und bleibt Haiti nach dem verheerenden Erdbeben. Und da ist für festliche Stimmung schlichtweg kein Platz.

Doch im CARE-Büro stoße ich dann doch noch auf bekannte Insignien der Weihnachtszeit: Im Eingangsbereich steht jetzt ein knallgrüner Plastiktannenbaum, darunter sind leere Kartons als Geschenkattrappen dekoriert. An einigen Bürotüren hängt das Gesicht von Santa Claus, der Einfluss des großen Nachbarn USA lässt sich nicht leugnen. Die meisten Kollegen, die ich frage, wie sie Weihnachten verbringen, zucken nur mit den Schultern. „Mal schauen“, ist die häufigste Antwort. Ein Festmahl kostet Geld, Geschenke für die Kinder müssen auch gekauft werden – all das ist schon unter „normalen“ Umständen in Haiti für viele Menschen keine Leichtigkeit. Aber in diesem Jahr, nachdem das Erdbeben so viele Existenzen vernichtet hat, stellt sich für abertausende Familien die Frage nach den sonst so gerne geplanten Details der Feierlichkeiten nicht.

Wie wohl im letzten Jahr Heiligabend gefeiert wurde, vor der Katastrophe? Damals, so erzählt mir eine Kollegin, fand auf dem Paradeplatz vor dem Präsidentenpalast ein großes Klassikkonzert statt. „Die ganze Stadt war da! Alte, Junge, Familien – wir sind alle hingegangen und die Atmosphäre war fantastisch.“ Heute ist der Champs de Mars voller Zelte und Plastikplanen, in denen sich Familien behelfsmäßig vor dem Regen und der Sonne schützen. Der Palast selber ist auch heute, elf Monate nach dem Erdbeben, eine Ruine wie aus einer apokalyptischen Szene: In sich zusammengestürzt, symbolhaft für das Land, das am 12. Januar dem Abgrund so nah kam.

Es ist schwierig in Worte zu fassen, was man den Menschen in Haiti für Weihnachten und das neue Jahr wünschen sollte. Zunächst einmal vielleicht ein paar stille Nächte. Ohne Unruhen auf den Straßen, egal wie die politischen Zustände sich entwickeln. Ohne Durchfall und Erbrechen und die Angst, dass Cholera die Familie erreicht hat. Und um das Ganze irgendwie greifbar zu machen, habe ich dieses Bild in meinem Kopf: Da steht „Haiti 2011“, und es gibt einen Knopf wie beim Internetbrowser. Auf dem steht „Neu laden“. Hoffentlich ist die Verbindung gut und die Seite baut sich so schnell wie möglich wieder auf."

Herzliche Grüße und vielen Dank für Ihre Unterstützung,

Anke Barth