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Projektbesuch und Baufortschritt

Elke B.
Elke B. wrote on 10-07-2016

Elke und Lena weilten über Pfingsten mit drei Praktikanten und einem tüchtigen Meisterhandwerker in Kongoni. Hier Elkes ausführlicher Bericht.


Viel geschafft!
…ist meine übliche Antwort auf die mittlerweile übliche Frage von Freunden „wie es denn diesmal in Afrika war?“
Ja, wir haben in den zweiwöchigen Pfingstferien wirklich viel geschafft – aber es war auch außergewöhnlich viel zu tun! So viel, dass mir ein paar Wochen zuvor angst und bange wurde vor den zu bewältigenden Aufgaben – und ich mich entschloss, weitere Hilfe zu suchen. Diese fand sich sozusagen „wie aus heiterem Himmel“ in Form eines „Allround-Facharbeiters“ im Unruhestand – Dieter Scheel, gelernter LPG-Landmaschinenmechaniker aus dem Raum Dresden, mit Erfahrung im Schweißen von Gasleitungen im russischen Nirgendwo und diversen anderen Einsatzstellen im Laufe eines langen Arbeitslebens. Und vor allen Dingen eines: Erfahrung im Improvisieren und dem Anpassen der Erfordernisse an das, was wir mit einem Zwinkern immer „die Gegebenheiten vor Ort“ nennen.
Nachdem der Küchenneubau im März mit großem Elan gestartet war, die Klärgrube und das Fundament ausgehoben wurden, gab es seit Ende April eine gewisse Verzögerung im Baufortschritt. Aufgrund der Regenzeit musste eine Pause eingelegt werden, aber das war noch nicht alles. Auch die Arbeit am Sanitärbau war erst mal stillgelegt, nachdem unterschiedliche Auffassungen zur Bauausführung auftraten. Über eine Entfernung von 6000 km spürt man zwar „dass da etwas nicht stimmt“ – aber was genau es ist, kann man auch mit Hilfe der modernsten Kommunikationsgeräte nicht immer ausmachen. Wie sagt unsere Tochter Elisabeth dazu? „High context culture“ (Erklärung von Wikipedia für alle, die wie ich kein entsprechendes Studium vorweisen können: „viele Dinge werden nicht direkt ausgesprochen, sondern müssen im Rahmen der vorherrschenden Kultur selbst interpretiert werden”). Ja, genau!! Damit hatte ich schon oft meine Probleme – wusste bisher nur nicht, wie das Problem wissenschaftlich heißt. Aber immer wieder tröstlich, dass es nicht nur mir so geht, sondern sich auch studierte Leute dazu Gedanken machen – und sogar Lösungen dazu erarbeiten! An diesem Punkt macht auch die Gründungsgeschichte unseres Vereins Sinn: hervorgegangen aus einer Schülerinitiative – diese „Schüler“ haben mittlerweile fast alle ein fundierte Ausbildung und bringen ihr Fachwissen wieder zurück. Das ermutigt und hilft auch hier und dort. Aber es braucht eben auch das Erfahrungswissen aus der deutschen Nachkriegszeit, als die Dinge auch bei uns noch selbst und mit der Hand gemacht wurden.

Um was ging es nun genau? Vornehmlich um die Vorgabe unseres Architekten, die Abwasserleitung von der Küche in die Klärgrube unter die Betonplatte zu legen. Ebenso wie die Frischwasserleitung, also eigentlich nichts Besonderes. Wir hatten viele Erklärungen dazu geschickt und viele Detailzeichnungen – als wir kamen, war das Fundament fertig, von der Abwasserleitung keine Spur. Ok, kein Problem für Dieter: Maßband anlegen, ausmessen, drei Stunden nach Ankunft auf dem fremden Kontinent gleich wieder los in die Kreisstadt. „Was ist erhältlich an Abwasserrohren? Diese, jene - okay, das nehmen wir! Wie bekommen wir die jetzt heim? Kein Problem, Francis organisiert den Transport auf dem Dach eines Kleinbusses, wir gehen noch einen Kaffee trinken“. Zuhause in Timau sind die Rohre leider noch nicht angekommen, was nun? Nachtelefonieren? Nein, im nächtlichen Scheinwerferlicht sehen wir den Bus mit den Rohren auf dem Dach um die Ecke biegen – noch schnell in den Hinterhof, damit sie bis morgen „keine Beine bekommen“ – und damit ist der Tag erst mal erfolgreich beendet!
Und wir begeben uns zufrieden heim in unsere Unterkunft, wo Lena und unsere drei Praktikanten inzwischen schon mal im Alleingang die ganze Küche aufgebaut und das Abendessen vorbereitet haben. Das tut gut! Nach Jahren, in denen ich das meiste alleine koordiniert hatte, nun die Erweiterung der Verantwortlichkeit: Teamwork – orientiert am Not-wendigen, ohne großartige Diskussionen über was und wie: einfach machen – passt scho!! – Hauptsache fertig!!
Am nächsten Tag ist Sonntag, aber für Kirchgang bleibt jetzt leider kein Raum, zu kurz ist die Zeit bemessen und zu vielfältig sind die Aufgaben. Heute geht es an unser „Problemkind Sanitärbau“. Die Klärgrube wurde bereits im Februar mit den Maßen von 1,5 Meter mal 2,4 Meter und 4,5 Meter tief ausgehoben. Unser Plan – UNICEF-Standard für ländliche Gebiete in Afrika ohne Abwassermanagement - sieht aber eine Anlage mit 6 Abteilen (2 für Mädchen, 2 für Jungs, 1 für Personal und 1 für Gäste) vor – und eine erforderliche Grubengröße von knapp 6 Meter Länge und mindestens 3 Meter Breite. Die Frage ist nur: wie kann hierfür mit den vorhandenen Kapazitäten eine Betonplatte zur Abdeckung erstellt werden, die das Gewicht des Gebäudes sicher trägt? Aber auch hierfür hat Dieter schon eine Lösung erarbeitet: Absicherung mit einem Ringanker, der in der noch vorhandenen Erde geschalt wird. Die Erweiterung der Grube erfolgt dann im Nachgang, wenn der Beton für den Ringanker fest ist. Soweit der Plan! Dumm daran ist nur, dass Dieter kein
Englisch spricht – und mein Fachvokabular in Sachen Hoch- und Tiefbau wirklich sehr mäßig ist. Diese Schwachstelle war mir schon zuhause bewusst geworden und ich hatte einiges in die Vorbereitung investiert: 3 Mappen mit detaillierten Bauplänen für Dieter, Francis und mich – und ein neues Smartphone mit Internetanschluss und dem Online Wörterbuch „Leo“ zur Übersetzung zwischen Deutsch und Englisch. Da sitzen wir dann zu dritt und versuchen die Details von Ringanker, Schalung und Stahlbewehrung klarzukriegen. Zur besseren Verständigung schließen wir gemeinsam mit Francis eine Rundgang durch diverse „Toiletten“-Neubauten in Timau an: die Polizeistation, die neue Secondary School und was uns sonst noch auf dem Weg begegnet. Meist treffen wir auf Löcher in der Wand als Abwasserleitungen und wenig Platz im Plumpsklo, aber dafür umso mehr Geruch. Da treten dann doch Unterschiede in den Ansprüchen zutage, aber zumindest bekommt Dieter als „Afrika-Neuling“ einen Einblick in den lokalen Standard. Und es dient der besseren Verständigung. Was wir ungefähr wollen, darüber sind wir uns mit Francis ja schon einig. Bleibt nur die Frage, wie wir es mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgesetzt bekommen.
Am Montag sind dann auch wieder die Arbeiter vor Ort, die sich während des Baustopps nach einer anderen Verdienstquelle umgesehen hatten. 4 Euro Tageslohn bekommen sie, das ist schon 1 EUR mehr als ortsüblich. Die Arbeit ist schwer, das merken auch Louis, Johannes und Eric, deren Aufgabe es ist, die Küchenklärgrube mit Steinen zu füllen. Dennoch ist jeder froh, wieder für einen Tag oder für eine Woche bezahlte Arbeit gefunden zu haben.
Eine Woche später bin ich mit Patricia mit dem Bus nach Meru unterwegs. Wir fahren an einer der großen Blumenfarmen vorbei, ca. 200 Leute sitzen auf beiden Straßenseiten in kleinen Grüppchen vor den Toren, vier Männer hier, sechs Frauen dort. Ich frage Patricia, was diese Menschen da tun. „Sie warten auf Arbeit!“ – „Ich dachte, Stellenbesetzungen laufen hier meist über Beziehung!“ – Patricia lacht bitter „Nicht über Beziehungen, über Geld! Um da reinzukommen, musst man erst mal 2000 KSH an jemanden vorstrecken. Für einen Monatslohn von 3000 KSH. Und selbst wenn man bezahlt, weiß man nicht, ob man den Job auch wirklich bekommt“. Der Anblick dieser Menschen tut weh, 30 EUR Monatslohn, da sitzen sie nun, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Man ist zumindest nicht alleine in seinem Unglück, anderen geht es genauso. Und vielleicht klappt es ja morgen, irgendwie muss es ja weitergehen! Das insgesamt 3 Personen in Vollzeit, 5 in Teilzeit und während der aktuellen Bautätigkeit täglich 5 bis 10 Bauarbeiter durch unseren Verein in Lohn und Brot sind sicher nicht viel, dennoch erscheint es mir in diesem Moment als kleiner Lichtblick. Wie hatte Francis vor vielen Jahren gesagt, als wir unsere Projektarbeit begannen? „We can´t move Mt. Kenya – but we still can do something“. Das war unsere Vision – und sie trägt auch nach all den Jahren noch.
Nachdem die Abwasserrohre nun vor Ort sind, geht´s in die Umsetzung. Also: Fundament wieder durchbrechen – einen geraden Graben ziehen – Sand in den Graben – Gefälle ausnivellieren – Abwasserrohr rein – einsanden – nochmals nachnivellieren – fertig! Die ganze Baustelle steht still während dieses Vorgangs – alle sehen andächtig zu, was „die Deutschen“ hier tun, Francis erklärt den Sinn und Zweck auf Kiswaheli. Nun ist mir auch klar, wo der Baustopp her kam: unsere Vorgabe war bisher im ländlichen Kenia einfach nicht bekannt. Und bevor man etwas falsch macht, macht man besser nichts. Nachfragen gehört nicht zu den üblichen Gepflogenheiten vor Ort. Danach geht alles wieder seinen üblichen Gang: Fundament fertig, Bodenplatte betonieren, Aufmauern nach Plan. „Alles was über der Erde ist, ist kein Problem“ sagt Francis. Leitungen werden dann üblicherweise gelegt, wenn man sie braucht, also, wenn das Waschbecken angeschraubt wird. In der Haupstadt Nairobi herrschen fast europäische Baustandards, im kenianischen Hinterland sind die Menschen noch dabei, sesshaft zu werden. Langfristige Strukturen waren bis dahin nicht nötig bzw. eher Geldverschwendung. Dennoch ist es immer wieder begeisternd mitzuerleben, mit welchem Eifer sich diese einfachen Arbeiter ohne besondere Schulbildung auf Neues einlassen und allem Interesse entgegenbringen. Da könnte sich doch mancher deutsche Arbeitssuchende ein Beispiel dran nehmen – aber das lassen wir jetzt mal besser beiseite!
Nachdem der Küchenhauptbau nun flott und selbständig weiterwächst geht es am Toilettengebäude weiter: Dieter biegt unermüdlich in der heißen Sonne seinen Ringanker zurecht und überwacht die Hilfsarbeiter im Ausheben der Erdschalung. Nach Fertigstellung wird die Tragkonstruktion dann betoniert und anschließend die Grube erweitert. In der Zwischenzeit widmet sich Dieter schon mal der Wasserleitung zur Versorgung der geplanten Handwaschbecken. Bereits beim Montieren der Solarwarmwasseranlage vor einem Jahr hatten wir festgestellt, dass es des Öfteren an der fachlichen Qualifikation beim Abdrehen der Metallgewinde fehlt, deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, dies noch vor unserer Abreise selbst fertigzustellen. Die örtlichen Baustoffhändler, bei denen Francis für unseren Verein ein Kundenkonto hat, kenne ich mittlerweile und um das lästige Verhandeln der Preise muss ich mich somit nicht kümmern. Wir brauchen ein ganzes Stück Wasserrohr mit einem halben Zoll Durchmesser, der Händler hat aber nur noch ein halbes Stück. Und wir haben keine Zeit, um auf die Nachlieferung zu warten. Aber es gibt noch einen anderen Laden gleich um die Ecke der das Gewünschte auf Vorrat hat. Als Francis kommt, will er die Quittung sehen – und zieht gleich mal die Augenbrauen hoch – wir haben wieder mal einen „Mzungu-Preis“ bezahlt. Zum Glück bleibt das die Ausnahme, die Finanzen auf kenianischer Seite sind fest in seiner Hand, da fehlt kein einziges Stückchen Papier am Abend, alle Preise sind im Kopf und passen ins Budget. Abends nach Dienstschluss oder am frühen Morgen wird die Materialnachlieferung organisiert, ohne dass wir das überhaupt mitbekommen. Ohne unseren „Bauleiter vor Ort“ wäre diese Baustelle gar nicht vorstellbar. Zum jetzigen Zeitpunkt sind ca. 10.000 EUR ausgegeben, das Gesamtbudget bis zur Fertigstellung beträgt 31.000 EUR, wir arbeiten mit einem Vorschuss von ca. 1.500 EUR auf dem Konto, was mit Belegen abgerechnet wird, wird nachgeschoben, alles deutsch korrekt.
Eine weiteres ungelöstes Problem sind die geplanten Energiesparöfen. Bereits zweimal zuvor hatten wir dem Ofenbauer in Nanyuki einen Besuch abgestattet, ohne wirklich zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen zu sein. Deshalb machen wir uns nun zum dritten Mal auf eine Besichtigungstour bereits fertiggestellter Projekte. Dies bringt zum Glück die Lösung: einen gemauerten Kamin in der Küchenmitte. Damit können endlich unsere Bedenken bezüglich der dünnen Metallkamine ausgeräumt werden, die in den meisten Schulküchen der Gegend entweder gar nicht mehr vorhanden oder völlig verbogen waren. Wieder einmal kommt mir dabei der Ausspruch einer ehemaligen Praktikantin aus dem Schwabenlande in den Sinn, deren Großeltern einen Sanitärbetrieb unterhielten und die mich immer mit ihrem zupackenden Pragmatismus erstaunt hatte: „Was du hier machst, ist eigentlich nichts Besonderes. Es ist hier nur besonders schwierig!“ Ja – genau so ist es! Ein gemauerter Kamin ist wirklich nicht schwierig. Nur, dass mir zuhause jeder Handwerker sagt, was geht und was nicht geht und wie´s geht. In Kenia geht nur das, was der jeweilige Handwerker vorher schon mal gemacht hat. Ob er überhaupt eine Ausbildung dazu hat und ob das Ganze Sinn macht, kann ich dann nach Fertigstellung selbst herausfinden. Hauptsache ich bin erst mal zufrieden und mein Arbeiter kann seiner Familie heute Abend etwas Geld heimbringen.

In diesem Arbeitsmodus verfliegen die zwei Wochen in Windeseile. Außerdem haben wir noch die Gelegenheit, zum ersten Mal einen Medical Check live mitzuerleben, dessen Ablauf uns durch die umfangreichen „Medical Reports“ bereits bekannt war. Lena erklärte sich bereit, mich für einen Tag als Übersetzerin zu vertreten, sodass ich wie versprochen eine Schülerin in Meru besuchen kann. Das Mädchen besucht dort eine Art „Nachmittagsschule“ um den Höheren Schulabschluss nachzuholen. Und auch hier wieder neue Menschen und hoffnungsvolle Initiativen, die mehr Unterstützung erwarten – und zweifelsohne auch verdienen würden. Zuhause in Timau wenden sich einige der Mädchen aus der Girls Hut an Lena wegen Schulgeldrückstände. Sind diese zu groß, werden die Schülerinnen vom Schulbesuch ausgeschlossen. Eines der Mädchen hatte im letzten Herbst ein Baby bekommen und möchte nun zurück in die Secondary School. Die Mutter war schon vor Jahren gestorben, der Vater kümmert sich kaum, außer um ihr Baby muss sie sich auch noch um zwei jüngere Brüder kümmern. Auch hier wird zusammen mit den beiden Sozialarbeiterinnen Patricia und Salome eine passende Lösung erarbeitet.
Meine neue Position als „Senior Betreuung“ genieße ich zunehmend: Dinge wie Küchenkasse, Wasserfilter und Einkauf bekomme ich sozusagen nur noch am Rande mit – das hat Lena gut im Griff. Da bleibt manchmal sogar noch ein Stündchen Zeit für meine geliebte „Shamba“ – meinen Experimentier- und Meditiergarten. Ich arbeite mich mit Sichel und Gartenschere Meter für Meter durch die kenianische Wildkräuterflora und bin begeistert, den im August gepflanzten Oleander wiederzufinden. Wenn ich dann ziemlich müde und ziemlich dreckig nach Sonnenuntergang zurück zur Lodge komme, um zu sehen, was denn gekocht wurde und ob noch was übrig ist, werde ich mit einem freundlich-vertrauten „und wie war´s?“ begrüßt. Gemeinsam diskutieren wir im „Leitungsteam“ bei einem Gläschen Wein die verschiedenen Erfahrungen des Tages, entwerfen Lösungsansätze und stecken den Rahmen für den nächsten Tag ab. Wohl wissend, dass es dann doch anders kommt. Aber darin sind wir ja mittlerweile geübt – meistens geht ja Handy oder WhatsApp. Und wenn nicht, dann geht eben Erfahrung, gesunder Menschenverstand, Intuition und immer öfter auch Telepathie. Es gibt viel zu lernen – in einer anderen Kultur hat man die einmalige Chance abseits vom Eingefahrenen vieles wieder neu zu lernen. Und manches Alte und Überholte hinter sich zu lassen. Das nennt sich wissenschaftlich dann „interkulturelle Arbeit“ – für andere und für mich.

Projektneuigkeiten von pro-A-kids e.V.