Gewalt gegen Frauen und die Globalisierung des Feminismus

Joana Breidenbach
26.11.2009

70 Prozent aller Frauen erlebten in ihrem Leben physische oder sexuelle Gewalt durch Männer – „die Mehrheit davon durch Ehemänner, Intimpartner oder Jemanden, den sie kennen“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gestern, anläßlich des Internationalen Tags zur Beseitigung jeder Form von Gewalt gegen Frauen. Er rief Männer aller Altersstufen dazu auf, dem neu gegründeten Netzwerk mit dem Namen Network of Men Leaders beizutreten und gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu kämpfen, wo immer sie auch geschehe.

Auch wir bei betterplace.org haben einige engagierte Projekte, die sich dieser wichtigen Thematik annehmen, so zum Beispiel ein von Care International durchgeführtes Projekt in Sambia - Schutz vor sexueller Gewalt, welches auf innovative Waise die Errichtung von Frauenhäusern mit juristischer Beratung, der Ausbildung von Multiplikatoren und gezielter Lobbyarbeit verbindet.

Gewalt gegen Frauen - ein Resultat des globalisierten Feminismus
Als Kulturanthropologin fasziniert mich die Genese des Konzepts “Gewalt gegen Frauen”, welches ein Spiegel der Globalisierung des Feminismus ist. Bis in die 1970er Jahre hatten Frauen in der Regel nur geringe konkrete Kenntnisse über die Lebensbedingungen von Frauen in anderen Weltteilen und der Feminismus war eine stark westlich geprägte Bewegung und Ideologie. Das hat sich seitdem dramatisch verändert - In Kirgisien gibt es zwar erst ein paar Dutzend Frauengruppen, in Kenia dagegen sind es 26.000.

Welche Frauenthemen sind relevant?
Frauenthemen wurden zunächst ausschließlich aus einem westlichen Blickwinkel artikuliert. Die universelle Gültigkeit von Idealen wie persönliche Entfaltung, Gleichstellung am Arbeitsplatz oder dem Recht auf Abtreibung erschien westlichen Feministinnen selbstverständlich. In gemeinsamen Foren mit Frauen aus anderen Kulturen und Kontinenten, insbesonders auf den großen UN-Weltfrauenkonferenzen, wurde jedoch schnell deutlich, daß Frauen in den verschiedenen Kulturkreisen sehr unterschiedliche Interessen und Ziele verfolgten. So stand in südlichen Ländern nicht die individuelle Selbstbestimmung, sondern die wirtschaftliche und rechtliche Gleichstellung von Frauen im Vordergrund. Islamische Frauen, Afro-Amerikanerinnen oder Afrikanerinnen setzen sich heute zwar zum Konzept ”Feminismus” in Bezug, verstehen aber oft völlig unterschiedliches darunter. Die internationalen Frauen-Netzwerke werden auf der einen Seite immer zahlreicher und grenzüberschreitender, andererseits läßt sich eine starke Ausdifferenzierung der Themen und Strategien beobachten.

Ein gemeinsamer Nenner für Witwenverbrennung, häusliche Gewalt und politische Folter
Um über kulturelle Grenzen hinweg die Situation von Frauen zu verbessern, mußten gemeinsame Interessen gesucht und mit einem standardisierten Vokabular artikuliert werden. Ein solcher gemeinsamer Nenner wurde im Konzept ”Gewalt gegen Frauen” gefunden. Vor 20 Jahren wurde ”Gewalt gegen Frauen” weder von Frauen- noch von Menschenrechtsgruppen thematisiert. Keine der 30 Artikel der ”Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung” (1980) beschäftigt sich mit Gewalt. Inzwischen ist der Begriff jedoch zum wichtigsten Leitprinzip der weltweiten Frauenbewegung avanciert. Sein Erfolg liegt darin, daß unter dem Oberbegriff ”Gewalt gegen Frauen” höchst verschiedene Fraueninteressen subsumiert werden und Frauen aus den unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Milieus sich dazu in Bezug setzen können. Themen wie Vergewaltigung und häusliche Gewalt in den USA und Europa, Beschneidung der Genetalien in Afrika, sexuelle Versklavung in Asien und Europa, Witwenverbrennung und Abtreibung weiblicher Föten in Indien, Folter und Vergewaltigung von politischen Gefangenen in Lateinamerika mögen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben.

Die übergeordnete Kategorie ”Gewalt”, die im Dialog zwischen den verschiedensten Frauenorganisationen entstand, ermöglichte es jedoch diese unterschiedlichsten Erfahrungen und Probleme zusammenzufassen um auf transnationaler Ebene gemeinsam für das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu kämpfen. Mit dem neuen Konzept konnte sowohl die Indifferenz eines extremen Kulturrelativismus, als auch die Arroganz des westlichen Imperialismus überwunden werden. Die Kampagne um ”Gewalt gegen Frauen” erlangte weltweite Aufmerksamkeit (u.a. auch durch die Massenvergewaltigungen im früheren Jugoslawien) und beeinflußt heute die diskursive und faktische Politik von Staaten und internationalen Organisationen.