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Erfolgsmodell Nähatelier - zwei Erfahrungsberichte

B. Hahn
B. Hahn wrote on 08-06-2021
Wie ihr wisst, hat AIM bereits 2018 ein erstes Berufsbildungsprogramm für Schneiderei und ein Nähatelier in Port Loko aufgebaut. Eine Ausbildung dort steht v.a. ehemaligen Beschneiderinnen offen. Sie können sich eine alternative Existenz aufbauen und die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) aufgeben. Viele hatten in ihrer Jugend nicht die Möglichkeit, lange zur Schule zu gehen, sondern haben FGM meist von ihrer Mutter oder einer anderen weiblichen Verwandten früh erlernt und übernommen. Durch das Nähatelier können sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und gleichzeitig Mädchen schützen. Auch werden sie zu Vorbildern für andere Beschneiderinnen.

Interview mit Modu Kamara, seit Februar 2019 Textildesigner und Manager des Nähateliers in Port Loko

TERRE DES FEMMES (TDF): Wie würdest du deinen Arbeitsalltag beschreiben? Was war ein besonderer Moment?

Modu Kamara (Modu): Es macht wirklich große Freude, mit den Frauen im Nähatelier zusammenzuarbeiten, obwohl es manchmal herausfordernd ist, wenn man ihren Hintergrund und die kulturellen Praktiken betrachtet, denen sie ausgesetzt waren. Ein besonderer Tag im Nähatelier war, als ich die Frauen lehrte, mit dem Treten des Pedals zu beginnen. Das ist die erste Stufe für Lernende. Die Frauen meinten, es wäre unbequem, dabei Schuhe zu tragen, also zogen alle ihre Schlappen aus. Das war ein sehr lustiger Moment für uns.

TDF: Wie nimmst du die Zusammenarbeit mit den Frauen wahr? Hast du Veränderungen in ihrem Leben festgestellt, seit das Atelier geöffnet ist?

Modu: Die Zusammenarbeit mit den Frauen ist sehr anspornend. Trotz ihrer familiären Verpflichtungen sind sie stets für Schulungen bereit. Außerdem fragen sie immer nach, wenn sie nicht weiterwissen oder sich Schwierigkeiten gegenübersehen. Ein positiver Wandel ist, dass die Frauen ihre verloren geglaubte Würde und den Respekt innerhalb ihrer Gemeinschaften wiedererlangen konnten, da sie nun einen Ort haben, an dem sie arbeiten und sich engagieren können.

TDF: Welche Rolle spielen Männer in der Diskussion über ein Ende der weiblichen Genitalverstümmelung? Meinst du, sie sollten stärker involviert werden?

Modu: Die Rolle der Männer besteht darin, die Diskussion auf Familienebene offener zu gestalten, ohne sich dabei vor äußeren Faktoren zu fürchten. Sie sollten stärker einbezogen werden, da sie meist die Kosten für den Übergangsritus bzw. FGM tragen. Außerdem gilt der Ritus in unserer Gesellschaft leider immer noch als notwendig, damit eine Frau als „gute Ehefrau“ angesehen wird, und als Grundlage für eine dauerhafte Ehe. All das wird also letztlich für die Männer getan.

 
Der Schneider/Textildesigner Modu teilt sein Wissen im Nähatelier Port Loko v.a. mit ehemaligen Beschneiderinnen. Dabei erfährt er viel über die Einzelschicksale der Frauen bezüglich ihrer Vergangenheit mit FGM (Bildrecht: AIM).


Interview mit Kadiatu Sokoh Bangura, seit Tag 1 Auszubildende und Mitarbeiterin im Nähatelier in Port Loko

TERRE DES FEMMES (TDF): Was war deine Motivation, als "sowei" (Anm. der Redaktion: "Beschneiderin" im sierra-leonischen Kontext) aufzuhören?

Kadiatu Sokoh Bangura (Kadiatu): Durch die Aufklärung seitens AIM und die Erfahrungen meiner Familie habe ich gelernt, dass FGM zu Armut führt. Als ich noch als sowei arbeitete, hatte ich weder genügend Zeit für meine Familie und Kinder, noch gab es eine ordentliche oder würdevolle Bezahlung nach der Durchführung einer Beschneidung. Meine Ausbildung im Nähatelier hat mir all dieses verlorene Prestige wiederbeschert. 

TDF: Was erwartest du von deiner Arbeit als Schneiderin bzw. Textildesignerin? Was sind deine Vorstellungen für die Zukunft?

Kadiatu: Ich freue mich darauf, von meinem Ausbilder so viele Fähigkeiten und Kenntnisse wie möglich zu erlernen, und eine Reihe an Aufgaben zu meistern. Außerdem hoffe ich, bald ein Start-up-Kit zu erhalten, um mein eigenes Nähatelier zu gründen. Bisher habe ich bereits gelernt, wie man die Pedale betätigt, die Nähmaschine pflegt und Stoffe zusammenfügt. In meinem eigenen Atelier möchte ich später ehemaligen sowei-Kolleginnen genau diese Kompetenzen vermitteln, ihnen so neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen und gleichzeitig einen guten Lebensunterhalt für mich und meine Familie verdienen.

TDF: Glaubst du, dass eine Berufsausbildung und eine vielversprechende berufliche Alternative mehr Frauen davon überzeugen könnten, ihre Tätigkeit als "sowei" aufzugeben?

Kadiatu: Ja, das denke ich. Aktuelle Auszubildende dienen als Botschafterinnen für diejenigen, die heute nach wie vor FGM praktizieren. Dank der Fertigkeiten, die sie erlernen, wird ihnen der Respekt ihrer ehemaligen Kolleginnen zuteil. Eine professionelle Ausbildung ermöglicht es den Frauen, von denen viele auch Analphabetinnen sind, stolz auf sich zu sein.

 
Konzentriert geht die Auszubildende Kadiatu ihrer Arbeit nach. Sie freut sich über erste Erfolge und ist motiviert, ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Eines Tages will sie in ihrem eigenen Atelier andere Ex-soweis ausbilden und ihnen zu einer selbstbestimmten Zukunft verhelfen (Bildrecht: AIM). 


Mit Berufsbildung erfolgreich FGM verhindern - wie in Port Loko!