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Von schlechten Nachrichten, lernen aus Krisen und Optimismus

S. Langkamp
S. Langkamp wrote on 18-05-2021

Nie habe ich mir bei einem Jahresbericht so schwer getan. Wer will schon schlechte Nachrichten, wenn wir alle die Nase davon gestrichen voll haben?

Und schlechte Nachrichten gibt es seit Beginn der Pandemie zuhauf.  Zum ersten Mal seit über 20 Jahren nimmt die extreme Armut wieder zu, und zwar dramatisch.  Weltweit und sogar in Deutschland wächst die Kluft zwischen arm und reich. Laut UN stieg die Zahl der Menschen, die nicht einmal ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung decken können um 40 Prozent. Allein in Brasilien rutschen zusätzliche 17 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze.

Unterdessen tobt die Pandemie dort ungebremst. Zuletzt ist uns das Land durch Berichte über eine verheerende zweite Viruswelle und eine neue aggressive Virusvariante näher gerückt. Gleichzeitig sind die sozialen Folgen in Brasilien unübersehbar: Viele Menschen haben ihre Arbeit und sogar Wohnung verloren. Über Nacht entstanden im Zuge der Lockdowns mehrere neue Favelas in brasilianischen Großstädten. Ein Wort fand wieder Eingang in die Münder, das man schon längst überwunden haben glaubte: Hunger.

Und die Kinder? Zurecht ächzen wir unter der Last und den Folgen der Schulschließungen.  In der Kleinstadt Arraial d`Ajuda sind die Schulen seit mehr als einem Jahr geschlossen. Die UN weist darauf hin, dass Millionen Kinder aus einkommensschwachen Ländern und Familien auch nach Ende der Pandemie nicht in die Schulen zurückkehren werden.  Unzählige Fortschritte in der Armutsbekämpfung wurden in den letzten Monaten zunichte gemacht. Wenn ich darüber nachdenke, tut mir das einfach nur weh und macht mich traurig. Und ich frage erbost: Warum lassen wir eine Politik zu, die erlaubt, dass bei uns und weltweit die Reichen gerade immer reicher, und die Armen immer ärmer werden? Warum beugen wir Krisen nicht besser vor, allen voran dem Klimawandel?

Ja, ich hadere. Nicht jedoch meine brasilianischen Freunde und Kollegen. Allen voran die Projektmitarbeiter im Jugendbildungsprojekt Himmelskinder und der Drogenrehabilitation Casa Dia. Sie bleiben mir gegenüber pragmatisch und positiv, man könnte fast sagen optimistisch. Sie legen Hand an und trotzen der Krise. 

Seit März letzten Jahres teilen die Projektmitarbeiter der Himmelskinder wöchentlich Lebensmittelpakete an die ärmsten Familien aus. Auf dem Gelände auf einer ehemaligen Müllkippe haben viele Familien Baracken aus Müll, Holz und Plastikplanen gebaut. Hier gibt es nicht einmal den Zugang zu Trinkwasser oder Strom. Auch dorthin liefern die Himmelskinder Wasser und Essenspakete.

 

Während die Kinder sonst in dem Jugendbildungsprojekt beim Informatik-, Capoeira- oder Musikunterricht neue Fertigkeiten und Selbstbewusstsein aufbauen konnten, fielen mit der Pandemie nicht nur die Schule, sondern auch die Kurse aus. Ein Teil der Mitarbeiter wurde entlassen. Die anderen fanden neue Wege, die Familien zu unterstützen. Sie begannen Lebensmittel zu verteilen und besuchten die Familien. Sie entwickelten Aktivitäten für kleine Gruppen auf Distanz. Sie schnürten regelmäßig Pakete mit kreativen und schulischen Aufgaben für 200 Kinder. Ärzte übernahmen Vorsorgeuntersuchungen und medizinische Versorgung für alle Kinder. Alle harren nun darauf, dass die Zahlen so weit sinken, dass die Kurse wieder für alle Kinder starten können.



Im Drogenrehabilitationsprojekt Casa Dia ist Sozialarbeiter Marcelo stolz und froh, dass das Projekt ohne eine einzige Infektion mit dem Virus durch die Krise gekommen ist. Das ging nicht ohne Opfer: Der Besucherzugang wurde eingeschränkt und weniger Neuaufnahmen getätigt. Eine Zeit befand sich das gesamte Casa Dia praktisch in Quarantäne. Auch finanziell litt das Casa Dia unter der Pandemie. Die Produkte aus neuen Holzwerkstatt fanden mit dem eingebrochenen Tourismus keine Abnehmer mehr. Umso mehr freut sich Marcelo, dass nun die Hühneraufzucht erste Früchte trägt. Er bleibt optimistisch:  "Trotz der Krise hat sich das Casa Dia ingesamt stabilisiert und Fortschritte gemacht."



Corona legt die Schieflagen unserer Gesellschaft schonungslos offen. Die Pandemie fordern uns mehr denn je heraus, solidarisch miteinander zu sein. Untereinander, aber auch über Ländergrenzen hinaus.

Es braucht aber auch eine andere Politik, die die Schere zwischen arm und reich aktiv verkleinert und großen Krisen wie der Klimakrise vorausschauend begegnet. In meiner Arbeit im Klimaschutz konnte ich in den letzten Jahren immer wieder hautnah beobachten, wie insbesondere CDU und CSU in der aktuellen Regierung eine bessere Klimapolitik blockiert und verhindert haben, aber auch Verbesserungen im Sozialbereich, wie einen höheren Mindestlohn oder wirksame Maßnahmen gegen die steigenden Mieten in den Großstädten.

Ich würde mir wünschen, dass die Menschen kritischer und aufmerksamer mitverfolgen, welche Parteien im Bundestag Gesetzesinitiativen verhindern oder einbringen, statt sich von Rhetorik oder Absichtsbekundungen blenden zu lassen. Ich hoffe, dass sie in diesem Superwahljahr informiert wählen gehen und für mehr soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz auf der Straße protestieren.

Denn dies, ja dies ist meine Hoffnung in der Krise. Dass wir aus ihr lernen. Dass sie uns die Kraft gibt, Schieflagen zu erkennen und anzupacken.  Dass die Krise uns als Menschheit am Ende stärker macht.

Bis es so weit ist, versuche ich mir etwas von meinen brasilianischen Freunden abzugucken. Den Optimismus.

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Hintergrundliteratur über Lobbyverstrickungen und Blockaden der Union beim Klimaschutz: