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"Egal was die anderen sagen: Deutschland ist mein Land." Riema im Porträt

H. Weber
H. Weber wrote on 21-02-2020
Riema (20) hat fast zehn Jahre lang regelmäßig an unserem Sprach- und Bildungsförderangebot teilgenommen. Mittlerweile hat sie ihr Fachabitur in der Tasche und eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten begonnen; außerdem gibt sie jetzt selbst Nachhilfe bei unserem Tochterprojekt Schüler helfen Schülern und war das Gesicht unserer Werbekampagne aus dem Jahr 2015; „weil ich SprInt unterstützen und etwas zurückgeben möchte“, wie sie sagt. Dabei lag auf ihrem Weg durch den Wedding hin zum Bildungserfolg der ein oder andere Stolperstein. Zeit für ein Gespräch über Multikulti, die Schule und das Leben hier im Kiez.

Riema passt nicht in das stereotype Bild, das viele Menschen von Frauen mit Kopftuch haben. Sie ist offen, kommunikativ, lacht viel und laut. Und sie weiß, was sie will: „Auf eigenen Beinen stehen. Das war meiner Mutter von Anfang an besonders wichtig. Sie hat immer gesagt, dass ich nicht von einem Mann abhängig sein darf, sondern meinen eigenen Weg gehen soll.“

Jedoch war dieser Weg steinig. Die Bildungssituation im Wedding ist schwierig. „Auf dem Schulhof gab es jeden Tag Schlägereien, die Jungs haben gekifft oder geraucht und kaum einer hat die Lehrer respektiert. In der Klasse war es immer laut. Ich konnte mich während des Unterrichts kaum konzentrieren und bin dann oft nicht mitgekommen, wenn die Prüfungen anstanden. Aber zum Glück gibt’s ja SprInt“ sagt sie und lacht, „hier habe ich immer Hilfe bekommen. Die Lehrer waren alle immer so hilfsbereit. In all den Jahren ist es fast so etwas wie meine zweite Heimat geworden.“

Und tatsächlich war Riema jahrelang regelmäßig bei uns und hat mit unseren Förderlehrern für Klassenarbeiten und Klausuren gebüffelt und das nachgeholt, was sie im Unterricht nicht verstanden hat, oder vielmehr: akustisch nicht verstehen konnte. Sie besteht erst ihren BBR, dann den MSA. Schließlich geht’s aufs Gymnasium im gut betuchten Charlottenburg. Ein Kulturschock: „Im Wedding auf der Schule hatten wir nur eine Deutsche in der Klasse, die anderen waren alles Migranten. Aber in Charlottenburg war ich plötzlich das einzige Mädchen, das Kopftuch getragen hat. Ehrlich gesagt, habe ich mich da nicht so wohl gefühlt. Der Unterricht war viel anspruchsvoller und die Lehrer strenger.“ Aber Riema hängt sich rein: „Eine Zeit lang war sie jeden Nachmittag hier und hat sich auf die Prüfungen vorbereitet“, erinnert sich Förderlehrer Johannes, mit dem Riema Deutsch, Geschichte und Politik gepaukt hat. Trotzdem scheitert sie und fällt durch’s Abi; das ist für sie doppelt bitter, da ihre beiden älteren Schwestern bereits studieren. 

Doch Riema rappelt sich auf: Sie absolviert ein freiwilliges soziales Jahr in einem Krankenhaus, dort arbeitet sie in der Notaufnahme und schaut sich Pflege und OP an, weil sie der medizinische Bereich reizt. Außerdem will sie mal „das wahre Leben außerhalb der Schule“ kennenlernen. Dafür hat sie in der Unfallnotaufnahme viel Gelegenheit. Vor schlimmen Verletzungen und Blut schreckt sie nicht zurück. Nebenbei jobbt sie, überlegt Erzieherin zu werden, doch bewirbt sich schließlich um einen Ausbildungsplatz zur medizinischen Fachangestellten. 

„In Pankow hat mir die Chefin bei einem Vorstellungsgespräch gesagt, dass ich mit meinem optischen Erscheinungsbild nicht in ihre Praxis passen würde. Keine Ahnung, ob sie meine Hautfarbe oder mein Kopftuch meinte. Naja, wenigstens war sie ehrlich zu mir“, sagt Riema und schaut dabei ein wenig konsterniert. Das Leben zwischen zwei Welten ist anstrengend; in Palästina ist sie Deutsche, in Deutschland Araberin, ihre Eltern sind einst nach Berlin eingewandert, hier ist Riema geboren und aufgewachsen. „Ich bin beides, deutsch und arabisch“, sagt sie, „auch wenn ich vielleicht nicht deutsch aussehe. Egal, was die anderen sagen: Deutschland ist mein Land“. Rassismus hat sie immer wieder erlebt, dennoch ist ihr wichtig, dass niemand über einen Kamm geschert wird. „Probleme gibt’s auf beiden Seiten“, sagt sie; „Nicht alle Deutschen sind Rassisten, und nicht alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden unterdrückt.“ Im Gespräch mit Riema zeigt sich, dass sie auch kritischen Nachfragen stellt. Aber allzu streng gegenüber der eigenen Community ist sie eher nicht. Weder Verschleierung noch einen gewissen Konservatismus findet sie problematisch, auch nicht die Heiratsschranken im Wedding, die Liebe zwischen Deutschen und Migranten, Muslimen und nicht-Muslimen schwer, bisweilen unmöglich, machen: „Ich könnte mir selbst eh nur eine Hochzeit mit einem Muslim vorstellen“ sagt sie. Dabei erlebt sie im Alltag immer wieder Einschränkungen. „Ich liebe Schwimmen“ sagt sie, doch in vielen Schwimmbädern ist das Tragen eines Burkinis verboten. Und im Badeanzug schwimmen gehen, kommt für sie nicht in die Tüte.

Aber für Hobbies hat sie im Moment eh wenig Zeit: Sie findet einen Ausbildungsplatz in Lichtenberg, bei einer Ärztin, die ebenfalls Kopftuch trägt. Die meisten der Patienten tragen keines, sind Deutsche, ohne Migrationshintergrund. „Ostberlin hat ja den Ruf rechts oder ausländerfeindlich zu sein, aber das ist Quatsch. Die Patienten sind alle super nett und die Arbeit dort macht großen Spaß.“ 

Ende gut, alles gut? Vielleicht. Riema möchte erst einmal die Ausbildung beenden und dann in ihrem neuen Beruf arbeiten. „Danach vielleicht studieren, mal sehen“, sagt sie und lacht, ist guter Dinge. Das meiste, was sie erreichen wollte, hat sie ja bisher erreicht, trotz aller kleineren und größeren Hürden auf ihrem Weg. 



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