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Haiti, 8. März: Weiber statt Fastnacht

(Deleted User)
(Deleted User) wrote on 09-03-2011

Liebe Unterstützer,

erleben Sie Haiti live! Durch unseren Blog unserer Mitarbeiterin Sabine Wilke. Diesmal berichtet sie über den 8. März, der gleich zweifach gefeiert wird:

"Sie kommen aus allen Richtungen – zu Fuß, auf der Ladefläche von Kleinlastern, mit Motorrad-Taxis. Mädchen in blütenweißen Sonntagskleidern mit spitzenbesetzten Söckchen, Frauen in eleganten Kostümen, modischen Kleidern und mit verschiedenstem Haarschmuck. In meinem CARE T-Shirt und Turnschuhen komme ich mir beinahe schäbig vor. Denn alle haben sich heute schick gemacht, hier in Léogâne, um etwas ganz besonderes zu feiern: sich selbst. 

Es ist der 8. März, seit einhundert Jahren gefeiert als Internationaler Frauentag. In Haiti wurde er erstmalig in den 1990er Jahren begangen, Frauenbewegung und –ministerium haben einen großen Beitrag dazu geleistet, dass Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte ihren Platz in der öffentlichen Diskussion finden.

CARE feiert den Internationalen Frauentag in Carrefour und Léogâne, zwei Gemeinden, die von dem Erdbeben vor über einem Jahr besonders schwer betroffen sind. Am selben Tag wird in Port-au-Prince der berühmte Straßenkarneval gefeiert, aber hier in Léogâne steht alles im Zeichen des Frauentages: Weiber statt Fasnacht sozusagen.

„Wir hätten das Programm vom Büro aus konzipieren können, dann wäre die Vorbereitung sicher einfacher gewesen“, erklärt mir Dr. Reginald Estriplet, der das CARE-Gesundheitsprojekt in Léogâne leitet. „Aber es war wichtig, dass die Gemeinden selbst etwas vorbereiten und dieses Forum nutzen, um ihre Stimme zu erheben.“ So gibt es Musik, Tanz, Sketche und Theater – ein buntes Programm, für das die Frauen eine Menge Proben und Organisation hinter sich haben.

Heimat und Stolz trotz allem

Zu Beginn wird die Menge begrüßt und Charlyne, eigentlich beim Wasser- und Hygieneprojekt von CARE zu Hause, tritt dafür als Moderatorin auf. Sie spielt den Part äußerst dynamisch: „Wo sind die Damen von ‚Santo’?“ Ein Teil der Menge jubelt und klatscht. „Ich kann ‚Ca ira’ nicht hören!“ – Tumult am rechten Bühnenrand. Nach und nach werden die verschiedenen Gemeinden begrüßt. Aber es sind keine Wohnviertel, die hier aufgerufen werden. Das hier ist kein Lokalpatriotismus wie in Berlin-Kreuzberg, Hamburg-Eppendorf oder Köln-Ehrenfeld. Die Frauen leben mit ihren Familien in provisorischen, ärmlichen Camps, viele von ihnen noch unter Plastikplanen.

Und trotzdem jubeln sie, wenn der Name ihres Camps fällt, denn das ist nun mal bis auf Weiteres ihr Zuhause. Und neben allen materiellen Bedürfnissen fehlt es in Haiti im Jahr zwei nach dem Erdbeben eben auch vielerorts an Gemeinschaftssinn und Stolz. Eine kleine Nachbarschaftsfeier zum Frauentag kann gerade dafür ein stärkendes Ereignis sein.

Die Vorführungen der Frauengruppen sind laut, bunt und vielsagend. In einem Sketch geht es um Bildung: Ein Schulkind spielt mit einem anderen Kind, das nicht zur Schule geht und deshalb Analphabet ist. Die Mutter verbietet den schlechten Umgang, doch das Kind sagt: „Es ist wichtig, dass wir miteinander spielen, damit mein Freund etwas lernt.“ Dann wird Mutter desjenigen Kindes, das nicht lesen und schreiben kann, krank und bekommt zwei Medikamente – eins zur äußeren, eins zur inneren Anwendung. Da weder Mutter noch Kind den Beipackzettel verstehen, schluckt sie die falsche Medizin und wälzt sich schmerzerfüllt auf dem Boden. Die Moral von der Geschicht’ ist so simpel wie einleuchtend: Bildung ist das Fundament für ein gesundes Leben.

Klare Ansagen

Auch die Wünsche der Frauen sind einleuchtend: „Arbeit, Bildung, auch für uns Mütter“, erzählt mir eine Tänzerin.  „Nou kapable ingénieur, ministre, président!“ – „Wir können genauso gut Ingenieure, Minister und Präsidenten werden!“, ruft eine andere Dame ins Mikrofon. Das sieht nicht nur das weibliche Publikum so. Der Taxifahrer Wilgens lehnt am Rande des Feldes an seinem Motorrad. „Heute feiere ich meine Frau, aber eigentlich tue ich das sowieso jeden Tag“, erklärt er stolz.

In der Menge entdecke ich schließlich noch ein bekanntes Gesicht: Séraphine, eine junge Mutter aus dem Camp Santo Montpellier. Sie wurde von ihrem Mann geschlagen und hatte den Mut, ihn anzuklagen – mit ihr hatte ich mich vor einigen Wochen für einen Artikel für die neue Ausgabe von CARE affair unterhalten. Sie ist heute mit ihrer kleinen Tochter Love Kevin hier und sie strahlen über beide Ohren. Schön, dass es ihnen gut geht. Und auf dem Rückweg halten wir in Carrefour, um Kollegen einzusammeln. Da läuft mir Guerda über den Weg, die junge Mutter, die ich bereits mehrfach getroffen habe. Sie trägt ein schickes rotes Kleid und hält stolz ihren kleinen Sohn auf dem Arm. Mögen diese beiden und allen anderen Damen auf der Welt einen wunderschönen Internationalen Frauentag verbringen!"

Herzliche Grüße,

Anke Barth