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“Wir telefonierten uns durch die Weltgeschichte”: Wie es der Kabulluftbrücke gelang, über 200 Personen aus Afghanistan zu evakuieren

Sophie
Sophie wrote on 10-09-2021

 Liebe Sea-Watch Unterstützer:innen,

die Sea-Watch-Aktivistin Mattea Weihe ist Teil der Initiative “Kabulluftbrücke”. Während die Deutsche Bundesregierung zögerte, gelang es der Initiative, sich über bürokratische Grenzen hinwegzusetzen und in den letzten zwei Wochen über 200 gefährdete Personen aus Afghanistan zu evakuieren. Heute erzählt sie uns von den turbulenten letzten Wochen und wieso es mehr denn je eine solidarische, aktiv eingreifende Zivilgesellschaft braucht.
 
 Mattea: Die letzten Wochen kommen mir vor wie ein Film, in dem viel geweint, gelacht und gezittert wurde. In dem wenig geschlafen oder gegessen wurde. Ich erinnere mich kaum noch, was genau an welchem Tag passierte. Doch ich weiß noch genau, wie wir - das sind Aktivist:innen von Sea-Watch und LeaveNoOneBehind sowie einige Journalist:innen und IT-ler:innen - zum ersten Mal gemeinsam um einen großen Tisch Platz nahmen. An diesem Tag wurde das Projekt “Kabulluftbrücke” geboren.

Doch bereits zuvor war vieles ins Rollen gekommen: Einige in der Gruppe suchten schon seit Tagen händeringend nach Möglichkeiten, gefährdete Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Als sich schließlich die Situation vor Ort dramatisch zuspitzte, da Flüge gestrichen wurden und die Taliban Kabul erreichte, wurde vielen klar, dass es an der Zeit ist, Kräfte zu bündeln. So kam es, dass wir einige Tage später an dem Tisch Platz nahmen und diesen Ort für die nächsten zwei Wochen auch nicht mehr verlassen sollten. Von hier aus hat unsere Initiative in den folgenden zwei Wochen alles menschenmögliche in die Wege geleitet, um das gemeinsame Ziel in die Tat umzusetzen: Die Evakuierung von gefährdeten Menschen aus Kabul.
 
 Die Idee hinter der Kabulluftbrücke war und ist es, gefährdete Menschen – darunter Intellektuelle, Aktivist:innen und Mitarbeitende von Journalist:innen – aus Afghanistan zu evakuieren. Wieso? Weil es diese Menschen nie auf eine offizielle Evakuierungsliste des Auswärtigen Amtes schaffen, da sie z. B. keine deutsche Staatsangehörigen sind oder nicht für die deutsche Botschaft oder Bundeswehr gearbeitet haben. Nicht bereit dazu, auf Reaktionen der zögernden Deutschen Bundesregierung zu warten, entschloss sich unsere Gruppe dazu, diese Personen mittels eines zivilgesellschaftlich organisierten Charterfluges in Sicherheit zu bringen.
 
 Um dieser Mammutaufgabe bestmöglich gewachsen zu sein, teilte sich das Team der Kabulluftfbrücke auf: Einige – darunter die Initiatorin Theresa Breuer – flogen zum Kabuler Flughafen, um die Operation von dort aus zu unterstützen. Wir anderen blieben in Berlin und kümmerten uns um den Kontakt zu den Menschen, die evakuiert werden sollten. Wir hielten die Kommunikation mit den deutschen Behörden aufrecht und organisierten die Flüge.
Foto: Lennart Diesen                                   
Vor Ort in Kabul war es Jordan, dessen Aufgabe es war, die Menschen durch die Stadt und sicher auf den Flughafen zu bringen. Noch nie habe ich eine inspirierende Persönlichkeit kennengelernt. Jordan ist mutig, witzig und gibt niemals auf. Mit der Zeit wurde er für mich zu so etwas wie einem Zauberkünstler, der Probleme beseitigen konnte, die schier unlösbar schienen. Wenn uns in der Wohnung in Berlin besorgniserregende Nachrichten erreichten, rief uns Jordan an und sagte nur „No worries mate, I fixed it“. Viele Personen wie er haben dazu beigetragen, das Unmögliche möglich zu machen. Unzählige Personen hielten die Kontakte zu den gefährdeten Menschen aufrecht und telefonierten sich auf der Suche nach Lösungen um die halbe Welt. Alle mit dem gemeinsamen Ziel, gefährdete Menschen umgehend aus Afghanistan zu evakuieren.
Und zusammen haben wir es geschafft, denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es gelang uns letztendlich 18 Menschen mithilfe eines Charterfliegers auszufliegen und 189 weitere Personen sicher an den Kabuler Flughafen zu bringen, die  – einen Tag vor Truppenabzug der Amerikaner:innen – mithilfe einer US Militärmaschine ausgeflogen wurden. Wir haben gemeinsam bürokratische Grenzen hinter uns gelassen und beweisen können, dass die Zivilgesellschaft Krisen besser meistern kann, als der eigens dafür errichtete Krisenstab der deutschen Bundesregierung.

Und wir sind noch lange nicht fertig: Mit Hochtouren arbeiten wir weiterhin daran, gefährdete Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Denn dieser Kampf ist nicht zu Ende: Diese Personen dürfen nicht weiterhin durch bürokratische Hürden von der Flucht abgehalten werden! Mehr zu unseren Forderungen und auch dazu, wie Du uns unterstützen kannst, findest Du hier.
Foto: Lennart Diesen
Während zahlreiche Aktivist:innen gerade in diesem Moment am Telefon nach Lösungen für weitere gefährdete Personen in Kabul suchen, möchte ich kurz innehalten und hervorheben, was die Zivilgesellschaft erreichen kann, wenn sie den Willen hat und ihre Kräfte bündelt. Was wir hierfür weiterhin als Grundlage brauchen ist Eure grenzenlose Solidarität mit Menschen in Afghanistan und auf der Flucht weltweit! Wir brauchen Euren Mut, den Druck auf die deutsche Bundesregierung weiter zu erhöhen und Euch klar gegen ihre menschenverachtende Migrationspolitik zu stellen!

Unterstütze jetzt die Arbeit der Kabulluftbrücke mit Deiner Spende hier.