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Wie das Trauma der Eltern auf die Kinder wirkt

G. Müller
G. Müller wrote on 30-10-2009

Liebe Freundinnen und Freunde,

heute will ich mit den Auszuegen aus dem neuen SEKA-Journal fortfahren. Im folgenden beschreiben wir die Auswirkungen der Traumatisierung der Eltern auf die Kinder.

In den naechsten Blogs werden wir dann mit konkreten Beispielen veranschaulichen auf welche Art und Weise wir mit Muettern und Kindern therapeutisch arbeiten. Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns gerne. Wir freuen uns auch ueber Rueckmeldungen (und natuerlich auch ueber Spenden).

Herzliche Gruesse

Gabriele Mueller

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Die Auswirkungen der Traumatisierung der Eltern auf die Kinder

Auch in der Arbeit mit den Frauen und Kindern dieser Gruppe konnten wir beobachten, wie stark die Traumatisierung der Eltern (ob durch Krieg oder familiäre Gewalterfahrung) auf die Kinder wirkt – sowohl direkt als auch unterschwellig, d.h. transgenerationell).

  • Intrusionen als Traumasymptom: Eines der typischen Traumasymptome ist die unkontrollierbare Überflutung durch traumatische Erinnerungsfetzen, fragmentierte Bilder, traumatische Gefühle, Panik u.ä., häufig ausgelöst durch „Trigger“ (eine Situation, ein Laut, ein Bild, ein Geruch o.ä, das an die traumatische Situation erinnert). Die betroffene Person lebt meist mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Sie benötigt fast ihre gesamte Energie um gegen diese Überflutungen anzukämpfen. Häufig dissoziiert sie auch, um den Intrusionen zu entkommen – d.h. es ist als ob sie abwesend wäre, ‚in eine andere Welt verschwindet’. Wenn ein Elternteil stark unter Intrusionen leidet, kann er seine Rolle als Mutter oder Vater kaum wahrnehmen. Es bleibt keine Energie und keine Kapazität für das Kind. Das Kind wird vielleicht mit dem Nötigsten (Essen, Kleidung…) versorgt, aber die Mutter / der Vater ist nicht wirklich für das Kind präsent, kann keine wirkliche Beziehung aufbauen. Das Kind bleibt sich selbst überlassen und gerät in Gefahr emotional zu vereinsamen oder gar zu verwahrlosen, falls es nicht zum anderen Elternteil oder zu einer anderen Bezugsperson einen verlässlichen Kontakt aufbauen kann.
  • Übererregbarkeit als Traumasymptom: Ein anderes typisches Traumasymptom ist die ‚Übererregbarkeit’, d.h. die betroffene Person lebt in ständiger Anspannung und Erwartung, dass erneut etwas Schreckliches geschieht. Die Anspannung, die psycho-physiologisch dazu dient, auf die Gefahr vorbereitet zu sein, bedeutet, wenn sie lange andauert, einen fortgesetzten Stress. Gleichzeitig hat der traumatisierte Mensch das Bedürfnis nach absoluter Kontrolle. Dies bedeutet ein ständiges Konfliktpotential für die Menschen seiner Umgebung. Jede Kleinigkeit kann eine ‚Explosion’ hervorrufen. Insbesondere für die Kinder, die meist nicht verstehen, warum der Elternteil so reagiert, bedeutet dies ein hohes Maß an Stress und bewirkt tiefe Ängste und eine grundsätzliche Unsicherheit. Das Kind erlebt sich selbst als Ursache für die Aggression des Elternteils, was zu einer zusätzlichen Verunsicherung und zu einem negativen Selbstbild führt („Ich bin nicht liebenswert“). Häufig kommt es auch zu direkter emotionaler und / oder physischer Gewalt gegenüber dem Kind, die das Kind direkt traumatisiert. Bei Jungen führt es – entsprechend der traditionellen Geschlechtsrolle – häufig selbst zu aggressivem Verhalten, bei Mädchen zu autoaggressivem Verhalten oder psychosomatischen Störungen.
  • Tiefe Ängste und Unsicherheit / Panikanfälle des traumatisierten Elternteils: Die traumatische Erfahrung zerstört bei der betroffenen Person das Vertrauen in sich selbst, in andere und in die Welt als ‚sicheren Ort’. Diese tiefen Ängste übertragen sich häufig transgenerationell auf die Kinder, die ihrerseits die Welt als grundsätzlich bedrohlichen Ort erleben. Sie können auf diese Weise keine Grundsicherheit und kein ‚Urvertrauen’ entwickeln, als Voraussetzung für die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit. Eine zusätzliche Reaktion des Kindes kann sein, dass es die Verantwortung für den Elternteil übernimmt und versucht die Mutter / den Vater vor allen Unannehmlichkeiten zu schützen und zu entlasten. Dies bedeutet meist eine Überanpassung für das Kind, eine große Überlastung und ständige Anspannung.
  • Massive unterschwellige Aggressionen des traumatisierten Elternteils: Jede – insbesondere durch Gewalt verursachte – traumatische Situation löst in der betroffenen Person tiefe Ohnmachtsgefühle und gleichzeitig eine massive Aggression aus – die jedoch dem Täter gegenüber nicht gezeigt werden kann, um das Überleben nicht zu gefährden. Diese massive Aggression muss verdrängt und unterdrückt werden. Sie besteht unterschwellig (und meist unbewusst) in der traumatisierten Person fort und drängt zum Ausbruch. Eigentlich harmlose Konfliktsituationen dienen zum Anlass, dass die geballte Aggression freigesetzt wird – gegenüber nahestehenden Personen oder gegen sich selbst. Für die Kinder hat es die oben beschriebenen Auswirkungen (s. Übererregbarkeit).
  • Negatives Selbstbild als Traumafolge: Traumatische Erfahrungen (insbesondere wenn sie mehrfach oder lang anhaltend geschehen) verändern massiv das Selbstbild der betroffenen Person. Das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit und in den eigenen Wert als Person wird zerstört. Insbesondere Traumata aufgrund von sexualisierter Gewalt führen zu massiven Selbstvorwürfen, und Ekel bzw. Verachtung gegenüber sich selbst und dem eigenen Körper, bis hin zu Selbsthass. Sexualisierte Gewalt trifft den intimsten Kern einer Person. Die erfahrene absolute Hilflosigkeit wird abgewehrt mit Schuldgefühlen, die zwar auch schwer zu ertragen sind – aber immer noch leichter als das Gefühl der vollkommenen Ohnmacht.  Zusätzlich fällt es den Betroffenen besonders schwer, über diese Art Trauma zu sprechen und sich so zu entlasten, da sie Stigmatisierung und Verurteilung durch ihr Umfeld befürchten. Dies isoliert sie auch von Möglichkeiten der Unterstützung. Die Kinder spüren, dass es Dinge gibt ‚über die man nicht sprechen darf’. Auch dies löst in ihnen Ängste und Unsicherheiten aus.                                                                  Das eigene negative Selbstbild und die ständigen Schuldgefühle machen die betroffene Person außerdem manipulierbar. Dies kann dazu führen, dass Mütter ihren Kindern (insbesondere den Söhnen) keine Grenzen setzen, bzw. dass sie die Töchter nicht in ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Autonomie unterstützen, sondern ihr eigenes negatives Selbstbild auf diese übertragen (‚sich selbst in den Töchtern ablehnen’). Es kann auch zu besonders strengem Verhalten der Mütter gegenüber den Töchtern führen, als Folge des Vermeidungsverhaltens – „alles vermeiden was irgendwie gefährlich sein könnte“.

 

Erziehungsstrategien als Folge der traumatischen Erfahrung: In der Arbeit mit traumatisierten Müttern konnten wir insbesondere zwei Erziehungsstrategien beobachten, die aus der traumatischen Erfahrung resultieren:

  • Entweder: Die Mütter erziehen die Kinder mit besonderer Härte und Strenge, gehen wenig  liebevoll und sehr fordernd mit den Kindern um, ‚um sie abzuhärten und auf die Brutalität der Welt vorzubereiten’. Die Kinder entwickeln dadurch keine innere Sicherheit und ein negatives Selbstbild (‚nicht liebenswert zu sein’), gleichzeitig ein erhebliches Aggressionspotential, das sie – wenn es ihnen möglich ist – häufig selbst an Schwächeren ausagieren (geschlechtsrollenspezifisch eher Jungen) oder gegen sich selbst wenden (eher Mädchen).
  • Oder: Die Mütter verwöhnen die Kinder, stellen ihre eigenen Bedürfnisse stets zurück, um die Wünsche der Kinder zu erfüllen, weil sie versuchen‚ das, was die Kinder gelitten oder entbehrt haben, auszugleichen. Ein anderer Aspekt ist, dass sie mit der zeitweisen Verwöhnung und dem Mangel an Grenzen ihr zeitweise ungerechtes und aggressives Verhalten ‚wieder gut machen wollen’, bzw. damit ihre eigenen Schuldgefühle besänftigen. Auf diese Weise ermöglichen sie den Kindern, sie zu manipulieren. Gleichzeitig fehlt den Kindern ein klarer verlässlicher Rahmen und die Möglichkeit, an Herausforderungen zu wachsen, bzw. zu lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen oder Verantwortung zu übernehmen.

 

Alle diese Aspekte machen unseres Erachtens deutlich, wie notwendig die parallele Arbeit mit den Müttern / Eltern und den Kindern ist, um beiden zu helfen, die Traumafolgen zu überwinden und ihre Beziehungen zueinander zu verbessern.