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Besonderheiten der Kindergruppe

G. Müller
G. Müller wrote on 25-09-2013

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe LeserInnen,

hier nun eine weitere Fortsetzung des Berichts ueber den Erholungsaufenthalt in diesem Sommer...

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Arbeit mit der Gruppe

Wie schon in den Vorjahren hatten die Frauen und Kinder der Gruppe bereits bei zwei Vortreffen im SEKA-Haus Gelegenheit, uns Kolleginnen und sich untereinander kennenzulernen. Die Kolleginnen gaben ihnen einen kleinen Einblick in die SEKA-Arbeit und klärten die organisatorischen Aspekte des Erholungsaufenthalts. Die Fahrt der Gruppe von Gorazde zum bosnisch-herzegowinischen Ort Neum an der Adria begleiteten die Kolleginnen Amina Sarajlić, Amela Drinčić und Alema Bajrović.

Kollegin Nurka Babović aus Zenica erwartete die Gruppe bereits in Neum.

Während des Erholungsaufenthalts arbeiteten Kindertherapeutin Amina Sarajlić und Dipl. Pädagogin Alema Bajrović mit den Kindern, sowie Traumatherapeutin Nurka Babović und Therapeutin Amela Drinčić mit den Müttern.

Der folgende Bericht fasst die ausführlichen Berichte der Kolleginnen über die Arbeit mit der Gruppe zusammen:


Ankunft am ersten Tag (Montag 17.06.2013):

Nach einer kleinen Erfrischung und der herzlichen Begrüßung durch die Pensionsinhaber, verteilten wir die Zimmer. Kinder und Mütter waren – wie jedes Jahr – begeistert von der Unterbringung, den schönen Zimmern, den Balkonen und dem Blick aufs Meer. Nach einem Imbiss hielten wir eine erste kurze Besprechung mit der Gesamtgruppe ab bzgl. Hausordnung, Gefahren (Balkone, Treppen, Strasse) etc.

Anschließend ging es zum Strand, da die Kinder es kaum erwarten konnten, zum Meer zu kommen. Da das Wetter traumhaft schön war, trauten sich einige der Kinder und Mütter auch bereits – gemeinsam mit uns ins Meer – gut abgesichert durch Schwimmflügel und Schwimmringe.

Die therapeutisch-pädagogische Gruppenarbeit mit Kindern und Müttern fand dann vom 2. bis zum 11. Tag des Erholungsaufenthalts täglich in parallelen Gruppen in der Regel von 8.00 – 12.30 Uhr statt.

 

Gruppenarbeit mit den Kindern

 

Besonderheiten der Kindergruppe

Allen Kindern gemeinsam ist, dass ihre Familien unter sehr schwierigen ökonomischen Bedingungen leben – einige weit unter dem Existenzminimum. Für die Kinder bedeutet das die ständige Erfahrung von Mangel wie auch – in der Schule oder dem Kindergarten – die Erfahrung von Ausgrenzung und Diskriminierung. Neun der Mütter und zwei der Väter sind kriegstraumatisiert. Sieben der Kinder haben Gewalt in der Familie von Seiten des Vaters / Stiefvaters erlebt, bzw. waren Zeugen von Gewalt gegen die Mutter. Drei Kinder sind dieser Situation noch immer ausgesetzt, da die Mutter noch mit dem Misshandler zusammenlebt.

Drei der Kinder waren zu Beginn des Erholungsaufenthalts 5-6 Jahre alt, 3 Kinder 9-10 Jahre und drei 12-13 Jahre. Die Gruppe setzte sich aus drei Jungen und sieben Mädchen zusammen.

Zum ersten Mal (seit das Projekt SEKA in Gorazde arbeitet) war die Gruppe des Erholungsaufenthalts ethnisch gemischt: sechs bosniakische und  zwei serbische Kinder, ein Kind aus einer gemischten Ehe, dessen serbischer Vater die Familie allerdings verlassen hatte, sowie ein Roma-Mädchen.

Einige der Kinder waren bereits früher zu offenen Terminen ins SEKA-Haus gekommen, kannten daher die SEKA-Arbeit ein wenig. Die meisten Kinder hatten das SEKA-Projekt erst durch das Vorbereitungstreffen für den Erholungsaufenthalt kennengelernt.

Bei den Kindern gab es sehr große Unterschiede in ihrer intellektuellen, emotionalen und sozialen Entwicklung und ihrem Verhalten, die nicht nur mit den Altersunterschieden sondern auch mit der (mangelnden) Förderung der Kinder zusammenhingen. Einige der Kinder hatten große Konzentrations-Schwierigkeiten und keine Ausdauer. Zu Anfang waren fast alle Kinder deutlich gehemmt und unsicher, was sich bei manchen durch ‚Kaspereien’ und ‚Faxen’ bemerkbar machte. Vermutlich durch diese Unsicherheit und das mangelnde Selbstvertrauen, aber auch offensichtlich durch Ermahnungen der Mütter ‚brav zu sein’, fiel es den Kindern zu Anfang schwer, sich zu entspannen und ihre Phantasie und Kreativität auszuleben. Dies zeigte sich besonders in den Imaginations- und Bewegungsübungen, die fast allen Kindern zu Anfang schwer fielen.

Im Verlauf der Gruppenarbeit und ganz besonders durch die gemeinsamen Aktivitäten am Strand änderte sich das Verhalten der Kinder nach einigen Tagen und sie nahmen aktiver und entspannter an der Gruppenarbeit teil. Auch die parallele Arbeit mit den Müttern tat ein Übriges.

Auch bei dieser Gruppe konnten wir feststellen, wie sehr die Lebensbedingungen und die Beziehungen innerhalb der Familie die Entwicklung und das Verhalten der Kinder bestimmten.

Einige Beispiele:

Ein fünfjähriger Junge, A. besuchte aufgrund der wirtschaftlichen Not und Uninformiertheit der Familie keinen Kindergarten und war sehr auf die Mutter fixiert, von der er bisher praktisch nie getrennt war. Diese band ihn so stark an sich, da sie unter großen Ängsten litt – nach dem traumatischen Tod zuerst ihres Vaters und wenige Jahre später ihrer Mutter. A. war sichtlich in seiner intellektuellen und sozialen Entwicklung zurückgeblieben, er war zu Anfang der Gruppenarbeit sehr in sich gekehrt und wollte bei vielen Übungen nicht mitmachen. Offensichtlich verunsicherte ihn die unbekannte Situation. Auch am Strand hielt er sich an seine Mutter, wollte die ersten zwei Tage nicht einmal in die Nähe des Wassers. Mit der Zeit und durch mein (Amina S.) intensives Bemühen näherte er sich sehr vorsichtig an das Meer an.

Die sechsjährige S. wiederum war ein intellektuell sehr waches und aktives Kind, allerdings stellten wir sehr rasch fest,  dass sie immer ‚die Erste’ sein musste, die ‚Beste’ von allen; wenn sie nicht im Mittelpunkt stand, bekam sie Wutanfälle und zog sich schmollend zurück. S. lebte – nach der Scheidung der Eltern – mit der Mutter bei den Großeltern: als einziges Kind und einziges Enkelkind wurde sie von allen verwöhnt. Der Vater allerdings kümmerte sich – wie wir in Gesprächen mit der Mutter erfuhren – nur sporadisch um sie; oft hielt er die Besuchzeiten nicht ein und meldete sich nicht einmal. Dies verunsicherte die kleine S. offensichtlich sehr und ließ sie an ihrem Wert zweifeln (s.u.).

 Die zwölfjährige B. war das Kind aus der ersten (erzwungenen) Ehe ihrer Mutter. Sie und ihre Mutter waren Roma. Die Mutter hatte sich in zweiter Ehe mit einem Bosniaken verheiratet. Einerseits vermieden die beiden, sich als Roma erkennen zu geben, andererseits erzählte B. uns im Einzelkontakt von vielen Demütigungen und Beschimpfungen, die sie durch die Bevölkerung des kleinen abgelegenen Dorfes, in dem sie lebten, oder in der Schule erdulden musste. Auch in der Familie hatte sie die Rolle des ‚Aschenputtels’: mehr oder weniger war sie geduldet, was sie sich durch vielerlei Arbeiten in Haus und Garten ‚verdienen’ musste (mit 12 Jahren!); die drei kleinen Brüder aus der zweiten Ehe ihrer Mutter wurden stets bevorzugt – sie war deren Kindermädchen. Die Mutter, die auch in dieser zweiten Ehe psychische und physische Gewalt erlebte (ihr Mann war schwer kriegstraumatisiert, alkoholabhängig und litt außerdem an psychotischen Schüben), benutzte die Tochter als ‚Vertraute’ und überforderte das Mädchen damit maßlos. Für B. war der Erholungsaufenthalt etwas Wundervolles: Sie sog jeden Augenblick in sich auf, genoss ihn in vollen Zügen. Sie war ganz sicher von allen Kindern am meisten interessiert und aktiv sowohl in der täglichen Gruppenarbeit als auch am Strand, auf Spaziergängen, bei allen Aktivitäten.

Der knapp 10jährige D. war ein kreativer, lebhafter Junge, der allerdings zu Anfang oft Schwierigkeiten hatte, sich in die Gruppe einzugliedern oder Grenzen zu respektieren. Die Mutter wandte sich um Hilfe an uns, da der Junge vor kurzem begonnen hatte, nachts das Bett zu nässen. In Gesprächen mit der Mutter zeigte sich, dass sich die Beziehung der Eltern in den vergangenen Jahren stark verschlechtert hatte. Der Vater hatte Alkoholprobleme und wurde in alkoholisiertem Zustand immer wieder gewalttätig gegenüber der Mutter und der älteren Schwester. D. war immer wieder Zeuge dieser Situationen. Der Druck, unter dem er stand war sehr wahrscheinlich ein Grund für das Bettnässen. Gleichzeitig hatten auch D.’s Leistungen in der Schule nachgelassen.

Die knapp dreizehnjährige F. war zu Anfang in der Kindergruppe sehr verschlossen, es fiel ihr schwer, sich vor den anderen zu öffnen. In mehreren Einzelgesprächen vertraute sie mir (Amina S.) an, dass sie Angst habe, dass andere Kinder Dinge aus der Gruppe, den Müttern erzählten. F. litt noch immer unter den traumatischen Erinnerungen an das gewalttätige Verhalten ihres Vaters, von dem sich die Mutter drei Jahre zuvor getrennt hatte. Noch immer durchlebte sie – oft in nächtlichen Alpträumen – diese für sie furchtbaren Szenen, wo sie meist Zeugin der Misshandlung der Mutter aber immer wieder auch selbst Opfer der Gewalt durch den Vater gewesen war. Aber auch ihr Verhältnis zur Mutter erlebte sie als sehr konfliktreich, da die Mutter sie ständig kontrollierte und sie sich von ihr unverstanden und erstickt fühlte.

Die fünfeinhalbjährige H. war der ‚kleine Sonnenschein’ der Gruppe und bei allen anderen Kindern sehr beliebt. Besondere Freundschaft schloss sie mit S. Zwischen den beiden gab es allerdings auch Konkurrenzverhalten, auch H. brauchte offensichtlich das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen. Während der Gruppenarbeit wurde deutlich, dass H. unangenehme Themen ignorierte und einfach ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtete. In Gesprächen mit ihrer Mutter wurde deutlich, dass diese sich erst zwei Monate zuvor von H.’s massiv gewalttätigem und drogenabhängigem Vater getrennt hatte. H. war zwar selbst nicht Opfer von Misshandlung gewesen, hatte aber häufig die Misshandlung der Mutter miterlebt und bereits selbst begonnen, sich gegenüber der Mutter aggressiv zu verhalten. Dies gab der Mutter den letzten Anstoß, sich zu endgültig zu trennen. Die beiden lebten nun bei den Großeltern mütterlicherseits im Gorazder Ortsteil G..

Fortsetzung im naechsten Blog..

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