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Moria Big Problem

R. Henning
R. Henning schrieb am 05.12.2019



So schallt es mir bei jeder meiner Reisen seit dem Winter 2016 entgegen, wenn ich wieder in den Olive Grove der aktuell auch »Jungle« genannt wird, gehe. Jetzt bin ich wieder hier. Seit meiner letzten Reise im Dezember 2017 hat sich das »wilde Lager« rund um den Hot Spot Moria, der ursprünglich mal für 3.000 Menschen gebaut wurde, um mehr als das doppelte vergrößert. Im Winter 2017 waren es noch 6.000 bis 8.000, jetzt leben in und um den Hot Spot herum gerade knapp 19.000 Menschen unter den schlechtesten Bedingungen, die vorstellbar sind und dies in der EU, einer der wohlhabendsten Regionen der Welt. Aber die Rechnungen in Brüssel und Athen gehen nicht auf, denn die Abschreckungsszenarien funktionieren nicht und das sogenannte EU-Türkei-Abkommen auch nicht. Nur von EU-Seite traut man sich das öffentlich nicht zu sagen. Man hat ja 6 Milliarden Euro hingeblättert und zu Hause Streß mit den Rechtspopulisten. Wenn man hier auf der Insel ist, merkt man es: die Boote kommen fast jede Nacht. In der letzten Woche waren es nach UNHCR-Angaben pro Nacht durchschnittlich 78 Menschen, in der Woche davor durchschnittlich 237. Die Zahlen schwanken. Die Menschen kommen einfach weil sie außer ihrem Leben nichts mehr zu verlieren haben. Da ist der Weg nach Europa eine Chance, meist die letzte die sie haben. Wenn ich manche frage, sagen sie mir, daß es ihnen egal ist, wo sie sterben entweder in ihrem Land, wo Krieg herrscht oder sie verfolgt werden oder bei der Überquerung des Meeres oder einfach hier im Lager. Sie haben dann wenigstens ihre letzte Chance genutzt. »Inshallah« – so Gott will, ist dann das zweite was ich höre. Aber sie sitzen hier fest – manche zwei, andere sechs und wieder andere 14 Monate. »So Gott will komme ich hier bald raus!« sagt auch ein afghanischer Mann auf bestem Hochdeutsch zu mir und freut sich mich zu treffen weil er mal wieder deutsch sprechen kann. Er erzählt mir, daß er für die Bundeswehr im ISAF-Einsatz in Afghanistan gedolmetscht hat. Vorher hat er einige Jahre in Deutschland gelebt und ist dann für den Übersetzerjob nach Afghanistan zurückgegangen. Seine Aufenthaltserlaubnis ist erloschen und in Afghanistan kann er nicht bleiben weil die Taliban alle, die mit den ISAF-Truppen zusammengearbeitet haben, einen Kopf kürzer machen. Die Bundeswehr hat ihn nicht mit nach Deutschland genommen obwohl sie genau weiß, was mit ihren ehemaligen in Afghanistan zurückgelassenen Mitarbeitern passiert. War wahrscheinlich zu teuer, die alle mitzuschleppen. Das Geld braucht man ja für neue Waffen. Jetzt sitzt er jedenfalls im Olive Grove fest und wundert sich, daß sein Teil des »wilden Lagers« wo er lebt seit dem letzten großen Stromausfall in der letzten Woche immer noch keinen Strom hat obwohl die meisten anderen Lagerteile ihn schon längst wieder haben. Ja, so ist das in der Europäischen Union: Die einen haben sozusagen den »Strom« mit Dublin III als Druckmittel und die anderen dürfen sich dafür einen menschen- und asylrechtlichen Komplettausfall leisten. Danke EU – so geht Gemeinschaft!

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