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Lugansk mit eigenen Augen - Reisebericht und Pressemitteilung

I. Steinigk
I. Steinigk schrieb am 02.07.2021

Reisebericht zum Arbeitsbesuch in Lugansk vom 14.06. – 22.06.2021  - Teil 1

Lugansk mit eigenen Augen



Bild: Karte der besuchten Orte und Krankenhäuser (unten) und Demarkationsline (oben)



Zweck dieser Reise war der Besuch von Einrichtungen die unsere Spenden erhalten haben und natürlich die Situation vor Ort mit eigenen Augen zu sehen, mit den Menschen dort zu sprechen und zu erfahren wie sie mit den sehr besonderen und schwierigen Lebensumständen zurechtkommen. Das Reisen in Pandemiezeiten ist mit allerlei Hindernissen gespickt, was bedeutet hat, dass vor allem die Ein- und Ausreise auf dem Landweg am Grenzübergang Izwarino von der Russischen Föderation in die LNR (Lugansker Narodnaja Respublika – Lugansker Volksrepublik) schwierig werden könnte. In der Russischen Föderation gelten aktuell besondere Einreisebestimmungen für Ausländer. Eine Ein- Ausreise ist möglich aber nur auf dem direkten Luftweg. Da die RF und die LNR keinen Luftverkehr unterhalten muss man dort die Grenze auf dem Landweg überqueren. Das geht zur Zeit nur, wenn man ein Familienmitglied ersten Grades mit russischer Staatsbürgerschaft hat (Verordnung Nr. 635-r vom 16. März 2020 Ausnahmegenehmigung für eine Ein- und Ausreise auf dem Landweg) und wenn eine Behörde der Russischen Föderation den "Transit" genehmigt. Diese sehr vage Formulierung von einer "Berhörde" die meinen Ausreisetransit genehmigen sollte hat uns einige Kopfschmerzen bereitet.

14.06.2021 - Montag

Am 14.06. flog ich also nach von Sankt Petersburg nach Rostow – am – Don, nahm mir dort ein Taxi zur Grenze (Kosten ca. 2500 Rubel/ 120km) und fuhr nach Izwarino. Diese Autofahrt dauert je nach Verkehrslage ca. 1,5 Stunden. Was ich nicht wusste, war, wie lange der Grenzübertritt dauern würde und welche „Überraschungen“ auf zu kommen würden. Da es auf Grund der aktuellen Situation einige „Unbekannte“ Momente gab, hatten wir mit unseren Partnern aus Lugansk vereinbart, dass wir uns auf der russischen Seite treffen würden, um dann gemeinsam über die Grenze zu gehen. Im Vorfeld haben wir uns über das Außenministerium der LNR im Detail erklären lassen, welche Dokumente für eine Einreise benötigt werden und unsere Partner haben eine persönliche Bürgschaft für meine Einreise (pod litschnuju otvetsvenost‘) übernehmen müssen. Leider sind die aktuellen politischen Umstände ausgesprochen schwierig und die Sicherheitsbehörden der LNR ausgesprochen angespannt auf Grund der zahllosen Provokationen im Frontgebiet zur Ukraine und einem Vorfall der sich am 11.06. ereignete – der Tod von 5 Volksmilizangehörigen im Grenzort Golubowskoe (https://www.interfax.ru/world/771847), auch die diversen NATO Manöver geben Anlass zur Sorge und die generell negative Haltung der ukrainischen Regierung, die alles tut um eine Beendigung des Konflitks unmöglich zu machen, befördern, milde ausgedrückt, nicht gerade eine Veränderung der Situation zum Positiven.

Gerade dem Gefühl auf der Stelle zu treten, an einem toten Punkt der Verhandlungen von Minsk 2 angekommen zu sein und eine sehr ungewisse Zukunft von Augen zu haben, begegnete ich während meiner Reise oft. Gleichzeitig jedoch auch dem Willen und dem Wunsch auch diese Schwierigkeit zu meistern. Viele Menschen im Donbass, in Lugansk, in der LNR sind unglaublich mutig - alein schon deswegen, weil sie hinter ihrer Entscheidung für die "Volksrepubliken" stehen. Aber zurück zum Anfang meiner Reise.

Naja, hab‘ ich mir im Taxi sitzend gesagt: Es wird schon klappen!
Das Grenzübertrittsprozedere besteht aus Russischer Passkontrolle zur Ausreise und Lugansker Passkontrolle zur Einreise. An beiden Kontrollstellen wurde ich eingehend "studiert und befragt" über den Sinn und Zweck meiner Reise, zu dem was unser Verein tut, wie wir arbeiten und mit wem. Durch scheinbar einfache und punktuelle Fragen durch die Grenzbehörden, versuchte man sich ein Bild von meinen Absichten zu machen und ich habe ehrlich gesagt einfach drauf los erzählt. Seit wann wir in Lugansk helfen, wie viele wir sind, wo die Spendenlkws so hingehen, habe ihnen unsere Webseite gezeigt, Flyer verteilt, Visitenkarten übergeben und mich dabei so „unschuldig“ präsentiert wie ich bin. Denn was wir tun ist für die Menschen in Lugansk und wir sind definitiv keine ausländischen Spione oder Provokateure.

Schlussendlich hat meine Offenheit überzeugt oder die Neugierde der FSBler wurde befriedigt und ich durfte aus- bzw. einreisen, jedoch formal grenztechnisch nur, weil meine Mutter die russische Staatsangehörigkeit besitzt und die Coronaeinreise-beschränkungen nur unter diesem Aspekt umgangen werden konnten.

Dann folgte eine etwa 1stündige Fahrt von Izwarino über Krasnodon nach Lugansk und gegen 18.00 Uhr war ich nach einem langen Reisetag endlich in Lugansk. Mein Quartier für den einwöchigen Aufenthalt wurde das zentral gelegene Hotel Lugansk, ein ehemaliger Intouristhotelblock in dem ich auch auf meiner vorherigen Reise übernachtet hatte. Ich bezog mein Zimmer im 12. Stock und hatte von dort oben eine großartige Aussicht auf die Stadt.

Bild: Grenze Izwarino – eigentlich ist es strikt verboten hier zu fotografieren. Foto aus der neutralen Zone in Richtung des Grenzkontrollpostens der LNR


15. und 16.06.21 – Dienstag und Mittwoch

Die folgenden beiden Tage waren wir mit diversen Behördengängen beschäftigt. Als erstes ging es ins Außenministerium, in die Abteilung zur Akkreditierung von Journalisten und Angehörigen von Hilfsorganisationen, dann zum Ministerium für Gesundheitswesen und im Anschluss zur Meldebehörde zwecks kurzfristiger Registrierung. Notwendig war das alles um die bürokratische Maschine für meine geplante Abreise am 22.06. in Gang zu werfen und um Genehmigungen für den Besuch der Krankenhäuser und Grenzorte zu bekommen. Ohne genehmigten Besuchsplan geht gar nichts.

Bild: Besuchsplan


Nach dem wir am 16.06. grünes Licht von Seiten des Gesundheitsministerium bekommen hatten konnte es dann endlich losgehen mit den Visiten bei unseren Spendenempfängern. Mein erster Besuch galt dem Republikanischen Kinderkrankenhaus in Lugansk, die mit dem letzten LKW 28 vom April diesen Jahren eine ganze Reihe von Spenden erhalten hatten.

Diese Klinik ist die zentrale Anlaufstelle für Kinderkrankheiten in der LNR und zählt damit zu den einigermaßen gut ausgestatteten Krankenhäusern. Dennoch gibt es viele Löcher im Budget wie zum Beispiel das fehlende Geld für den Erwerb von OP – Lampen – Ersatzglühbrinen. Wir als Verein sind hier eingesprungen und haben 6 neue Ersatzglühbirnen gespendet (Kosten: 120 Euro je Lampe). Bei meinem Besuch erfuhr ich das noch mehr Glühbirnen benötigt werden, denn von den 8 OP – Lampen insgesamt, arbeitet dennoch nur eine mit voller Leistung. Ein weiteres Defizit sind Babybetten für Neugeborene und Inkubatoren. Die Neugeborenen/ Frühchenabteilung versorgt die winzigen Patienten derzeit nur mit einem voll funktionsfähigen Inkubator. Deswegen haben wir Geld für einen neuen Inkubator gesammelt, der jetzt gekauft und nach Lugansk gebracht wird.

Bild: Kaputte Inkubatoren im Rep. Kinderkrankenhaus in Lugansk


Ein weiterer Besuch an diesem Tag galt dem Zentrum für Volkskunst, nichts Medizinisches aber enorm wichtig für die Menschen die sich kreativ betätigen möchten. Denn das Kursangebot bietet den Bewohnern der LNR die Möglichkeit durch die künstlerische Betätigung so etwas wie einen „normalen“ Alltag zu erfahren. In dieser Einrichtung gibt es Musik- und Tanzkurse, Kreativclubs, Workshops für Kunsthandwerk und verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten. Denn so banal wie es klingt: sich einige Stunden ablenken zu können vom Alltäglichen in Zeiten des Bürgerkrieges bzw. der Unbestimmtheit ihrer politischen Lage, ist ungemein wichtig für die psychische Gesundheit der Menschen. Aufgefallen ist mir dabei, dass die Menschen die hier arbeiten unglaublich engagiert sind. Mit den wenigen Mitteln die ihnen zur Verfügung stehen, versuchen sie glückliche Momente zu generieren, ihre Arbeit zu machen, so gut es geht. Das ist generell eine Einstellung die ich sowohl in med. Einrichtungen als auch bei vielen Menschen beobachten konnte. Dem Volkskunstzentrum haben wir für ihre Büros aus einer PC – Spende aus Wien einige PCs, Monitore und einen A3 Drucker übergeben – wofür man hier unendlich dankbar ist.

Bild: Volkskunstzentrum – eines der Büros mit von uns übergebenen PC’s und Monitoren


Am Abend des 16. Juni gab es noch eine Überraschung für mich - ein Besuch in der Philarmonie der Stadt Lugansk. Das Programm hieß "Von Klassik bis Rock" und es spielte das Sinfonieorchester der LNR. Der Konzertsaal war bis auf den letzten Platz besetzt und es gab mehrfach standing ovations für die Musiker. Die gegenseitige Wertschätzung von Musikern und Publikum war enorm, denn die Wiederaufnahme der Konzert- und Kulturtätigkeit spielt eine überaus wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung eines "normalen" Alltags. Alle wissen, dass es diesen "normalen" Alltag zur Zeit nicht gibt. Und dennoch sind solche Momente wie ein anderthalbstündiges Konzert ein winziges Puzzleteilchen auf dem Weg dorthin.



Weitere Teile des Reiseberichts folgen.

Über folgenden Link gelangen Sie zu einem Bericht über das Projekt:
https://clausstille.blog/2021/07/01/aktionsbundnis-zukunft-donbass-mit-humanitarer-hilfe-fur-die-kriegsgeschadigten-in-der-ostukraine/


Erster Teil des Reiseberichts zum Arbeitsbesuch in Lugansk