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Bericht zum Intensiv-Seminar für die „mittlere“ Generation Ü35 in der Fränkischen Schweiz

M. Grein
M. Grein schrieb am 02.07.2016

Eine weite Anreise, die sich gelohnt hat: nach einer anstrengenden Arbeitswoche und fünf Stunden Bahnfahrt war der Empfang in Ahorntal-Pfaffenberg eine wahre Labsal. Das Seminarhaus liegt auf der Höhe umgeben von einer mit leuchtendem Löwenzahn durchsetzten Streuobstwiese. Und mein Suchtmittel (Kaffee) ist auch bald bereit und steht duftend auf der Terrasse vor mir.

Meine Bedenken, dass die Gruppe zu klein sein könnte waren schnell zerstreut. (Wegen kurzfristiger Absagen waren leider nur sieben Personen aus mehreren Bundesländern zum Ü35-Seminar gekommen.)

Es gibt nur eins in unserem Leben, was wirklich sicher ist: Veränderung

Unterbrochen vom Abendessen vereinbarte die Gruppe die Regeln, die für das Wochenende gelten sollten, und sammelte die Themen, die für die Teilnehmer wichtig waren und die hier behandelt werden sollten:

➢ Situation als Risikoperson / Erkrankter

➢ Selbstbestimmung / Weichen stellen

 Vorsorgevollmacht

 Patientenverfügung

➢ Basisinformationen zu Huntington

 Formen des Verlaufs

➢ Umgang mit der Erkrankung

 Umgang mit Partnern / in der Familie

 Umgang mit Kindern

➢ Hilfsmöglichkeiten bei Erkrankung

 Hilfe für Alleinstehende

Wegen der teilweise recht langen und ermüdenden Anfahrt wurde der eigentliche Einstieg in die Thematik für den Samstagvormittag vereinbart. In zwei sehr intensiven Diskussionsblöcken konnte am nächsten Morgen die meisten Themen sehr ausführlich bearbeitet werden. Durch die Berichte zeigte sich erneut, wie unterschiedlich die Huntington-Erkrankung verlaufen und bewältigt werden kann.

Insbesondere der Austausch unter Betroffenen in vergleichbaren Lebenssituationen wurde als sehr wichtig und hilfreich empfunden. Der Zugang zu örtlichen Kontaktgruppen ist jedoch regional recht unterschiedlich. Auch sind sie thematisch wenig auf die Bedürfnisse der Generation „Ü35“ fokussiert. Trotz der diesjährigen geringen Teilnehmerzahl gibt es hier offensichtlich noch einen echten Bedarf für die mittlere Altersgruppe.

In dieser Lebensphase stehen wichtige Entscheidungen an: Wen soll ich durch Vollmachten und Verfügungen mit meiner zukünftigen Versorgung beauftragen? Bürde ich dann nicht jemandem zu viel Verantwortung auf? Oder weise ich meinen Partner zurück, wenn ich es nicht tue? Wie gehe ich mit der Fraktion der Schweiger und Verdränger um? Wie lange ist Verdrängung gut und ab wann führt Verdrängung zu Problemen? Wie sorge ich für meine Kinder vor?

Auf die meisten dieser Fragen gibt es keine einfache Antworten. Aber Berichte aus anderen Huntington-Familien und deren Erfahrungen können oft wichtige Hinweise für die eigene Entscheidungsfindung liefern. Bei manchen Tipps fragt man sich hinterher, warum bin ich darauf nicht selbst gekommen?

Begünstigt durch die kleine Gruppe und die Selbstversorgung im Haus hatte sich sehr schnell eine vertraue Arbeitsatmosphäre entwickelt. Das führte zu sehr intensiven aber auch anstrengenden Gesprächen, so dass alle froh waren beim Freizeitprogramm am Nachmittag etwas entspannen zu können. Von den vielen touristischen Attraktionen der Region fiel die Wahl auf die Raubvogelschau der Burg Rabenstein. Ein Essen in einer fränkischen Gastwirtschaft rundete das Freizeitprogramm am Abend ab.

Am Sonntag wurden die Themen des Vortags aufgegriffen, erweitert und vertieft. Einzelgespräche zwischen den Teilnehmern hatten neue Fragen aufgeworfen. Das Freizeitprogramm hatte aber auch Zeit und Raum geboten, sich neuen Sichtweisen zu öffnen. Diese konnten jetzt noch einmal in der Gruppe diskutiert werden.

Bevor sich mit der letzten Mahlzeit und dem Aufräumen des Hauses das Ende des Seminars näherte, wurde in einer Feedback-Runde ein erstes Fazit der Ü35-Veranstaltung gezogen: Es wurde bedauert, dass nicht mehr Zeit zur Verfügung stand, die Teilnehmer hätten sich gerne noch weiter ausgetauscht. Um die teilweise langen Anfahrtswege zu verkürzen, wurde ein zentraler in Deutschland gelegener Tagungsort vorgeschlagen, zusätzlich ggf. regionale Infoveranstaltungen.

Das Format sollte für ein Folge-Seminar beibehalten werden, vielleicht um einen Tag verlängert. Um eine verbindlichere Anmeldung zu erreichen wurde ein Teilnehmerbeitrag von 50 bis 100 € als sinnvoll erachtet. Im Kern entsprach das Programm den Erwartungen der Teilnehmer und die Umsetzung wurde als gelungen bezeichnet. Ein großes Lob ging an Michaela Grein, die Initiatorin des Wochenendes für die viele Arbeit, die sie in die Vorbereitung und Organisation gesteckt hat.

Auch aus Sicht des Referenten war es eine gelungene Veranstaltung. Als ich endlich gegen 20 Uhr müde aber zufrieden zuhause ankam, hatte ich das Gefühl, selbst wieder eine Menge von den Teilnehmern gelernt zu haben. Lernen ist für mich nie eine Einbahnstraße. Der Austausch mit Menschen aus Huntington-Familien liefert auch mir jedes Mal neue Erkenntnisse, die ich gerne in die Beratungen in meinem beruflichen Alltag einfließen lasse.

Daher von hier aus noch einmal ein herzliches Dankeschön an alle Teilnehmer (und Teilnehmerinnen, die natürlich im Text immer mit-gemeint waren, auch wenn ich der besseren Lesbarkeit halber meist nur die männliche Form verwendet habe).

Jürgen Blumenschein