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Die härtesten Tage

(Gelöschtes Mitglied)
(Gelöschtes Mitglied) schrieb am 05.12.2019

Beitrag  von Jennifer Bose, Mitglied des Nothilfe-Teams bei CARE Deutschland



In meinem Job habe ich alle nur erdenklichen Gefühle erlebt: Frustration, Wut und eine Aggression, von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie in mir habe. Tiefe Traurigkeit, von der ich weiß, dass sie niemand nachvollziehen kann. Freude und Glück, wenn ich sehe, wie wir Menschen helfen – trotz all der Trostlosigkeit und Verzweiflung. Angst, wenn ich daran denke, was jederzeit passieren kann, wenn ich in Krisengebieten unterwegs bin. Verwundbarkeit, wenn ich weiß, dass ich stark bleiben muss, obwohl ich mich überhaupt nicht so fühle. Und manchmal auch alles auf einmal.

Es ist wunderbar zu sehen, dass meine Arbeit bei der Hilfsorganisation CARE die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – wenn oft auch nur für eine Millisekunde – auf die Not so vieler Menschen lenken kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Mensch eine Geschichte hat, die es wert ist, erzählt zu werden. Aber die Menschheit hat aufgehört, den wirklich wichtigen Dingen zuzuhören. Manchmal fühlt sich meine Arbeit wie ein Kampf gegen die Hoffnungslosigkeit an, manchmal habe ich aber auch das Gefühl die Geschichten und das Leid der Menschen zu verkaufen. Dabei konkurriere ich mit Reality-TV und der Politik, wobei die beiden nicht immer auseinander zu halten sind. Und ich verstehe das Publikum. Niemand will nur traurige Geschichten hören. Aber ich denke mir das alles ja nicht aus. Das, worüber ich schreibe, passiert, es ist die Realität. In den hunderten und tausenden Geschichten, die ich höre, bekommen Kriege, Konflikte und Katastrophen ein Gesicht. Und in gewisser Weise werden diese Geschichten auch Teil meiner eigenen Geschichte. 

Manchmal vermeide ich es, noch vor Ort über all das zu schreiben oder zu sprechen. Die Distanz, die ich zu den Menschen bewahren kann, überrascht mich selbst. Doch sie hält nur so lange an, bis ich beginne ihre Geschichten nieder zu schreiben. Die härtesten Tage sind nicht die im Einsatz, sondern die an meinem Schreibtisch, wenn ich versuche die Scherben der zerstörten Existenzen von realen Menschen in eine Geschichte zu verpacken. Oft trifft es mich erst dann so richtig. Das ist in Ordnung so, aber es trifft mich. Und manchmal tut es weh, weil ich weiß, dass das, was ich tue, nur ein Pflaster auf eine klaffende Wunde ist. Wirkliche Veränderung kann es nur durch Frieden und langfristige Entwicklung geben.

Ich weiß noch, dass ich gefragt wurde, ob ich stark genug sei, diesen Job zu machen. Es ist nicht die physische Kraft, die dich weitermachen lässt, sondern die psychische. Stark zu bleiben, wenn eine Frau in Bangladesch dir in jedem kleinsten Detail beschreibt, wie sie von zehn bewaffneten Männern vergewaltigt wurde. Am Ende eines 19-Stunden-Tages noch freundlich zu lächeln, nachdem ein verheerender Wirbelsturm Mosambik getroffen hat. Einem unterernährten Kind in Somalia in die Augen zu sehen und zu wissen, dass sein Leid vielleicht kein Ende nimmt. Den Mann und Nothelfer, der diese Situationen ohne weiteres wegsteckt, muss ich erst noch treffen.

Wenn es darum geht, dass Menschen, vor allem Frauen in konservativen Gesellschaften, sich öffnen und ihre Geschichte erzählen, habe ich das Gefühl, als Frau einen Vorteil zu haben. Oft wird mir jedoch auch die Frage gestellt, ob es gefährlicher für eine Frau ist in meinem Bereich zu arbeiten. In vielen Fällen trifft dies sicher zu. Für mich entstanden die schwierigsten Situationen bisher allerdings aus der Arbeitskultur in diesem Sektor. Wir ermutigen mehr Frauen, diesen Job zu machen, aber am Ende des Tages ist die Welt der humanitären Helfer nach wie vor überwiegend männlich. Hier als Frau zu arbeiten heißt oft auch, lauter sein zu müssen als es mir lieb ist, um überhaupt gehört zu werden, und härter arbeiten zu müssen als andere, um ernst genommen zu werden.

Einen Wandel werden wir nur dann bewirken, wenn Frauen beginnen sich gegenseitig zu unterstützen und Organisationen wie CARE sich für Gleichberechtigung einsetzten. Gleichberechtigung bedeutet auch zu verstehen, dass Emotionen ein Zeichen der Stärke und nicht der Schwäche sind.

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