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Hoffnungsvolle Entwicklung

A. Joppich
A. Joppich schrieb am 24.11.2014

Vom 26.10.-13.11. war ich wieder in Tunesien. Einige Eindrücke aus dem Land habe ich in folgendem Artikel aufgegriffen: 

Hoffnungsvolle Entwicklung
Eindrücke aus Tunesien zwischen den Wahlen

Am 26.10. verlief die erste Parlamentswahl nach der neuen Verfassung friedlich ab. Die Bevölkerung wählte die islamische Ennahda-Partei ab und führte so einen demokratischen Machtwechsel herbei.  Noch im November wird auch der Präsident neu gewählt. Seit 2011 arbeitet der unterwegs e.V. mit Partnern im südlichen Teil des Landes und organisierte vom 6.-12.11. einen Austausch für Fachkräfte der Jugendarbeit.

„Bei meiner Ankunft spürte ich sofort, dass der Enthusiasmus für die Revolution und die Demokratie wieder zurück ist“, beschreibt Projektkoordinator Andreas Joppich kurz und knapp die aktuelle Stimmung. Nachdem sich die Bevölkerung 2011 mit friedlichen Protesten von der Diktatur Ben Alis befreit hatte und erste demokratische Wahlen stattfanden wurde überall im Lande über dessen Zukunft diskutiert. Basisdemokratische Kommittees regelten das öffentliche Leben auf lokaler Ebene. Jeder durfte und wollte sich in die Entwicklung des Landes einbringen.

Doch zunehmend entstand Frustration. Die neue Freiheit hat auf wirtschaftlicher Ebene keine Verbesserungen gebracht. Im Gegenteil, durch die Umstrukturierung der Behörden liefen viele Verwaltungsaufgaben nicht geordnet ab, Firmen zogen sich aus Tunesien zurück und Touristen blieben aus. Die Ennahda-Regierung wollte eine islamisch geprägte Verfassung durchsetzen, ein Versuch, der die Gesellschaft spaltete. Doch die Parlamentswahlen zeigten nun, dass die Demokratie in Tunesien lebt. Über 60% beteiligten sich. Säkuläre Kräfte sind die klaren Gewinner der Wahl.

Der Erfolg der demokratischen Revolution in Tunesien ist nach Ansicht von Andreas Joppich auf drei wichtige Akteure zurückzuführen:

1.       Tunesien hat historisch schon immer eine starke Frauenrechts-Bewegung. Diese Zwang bereits 1956 Staatsgründer Bougiba dazu, Frauen und Männer weitgehend gleichzustellen und die Polygamie zu verbieten. Diese Rechte werden auch heute gegen alle Versuche der Einschränkung verteidigt.

2.       Die intellektuelle Demokratiebewegung kann weniger gebildete Schichten nicht erreichen, weshalb jene sich in vielen arabischen Ländern islamischen Parteien zuwenden. Tunesien jedoch hat eine starke Gewerkschaft, die auch zu Zeiten Ben Alis als Fürsprecher der einfachen Menschen galt und die sich gegen eine Islamisierung und damit Polarisierung des Landes stellt. Für viele Arbeiter/innen und Arbeitslose ist diese mit ihrem Ansatz der Menschenrechte und des Empowerments die Institution des Vertrauens, weniger islamische Organisationen, die Almosen verteilen.

3.       Aus der Revolution heraus gründeten junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen. Da noch wenig Erfahrung mit politischem Engagement bestand, nahmen die Aktiven an vielen Fortbildungen teil, u.a. an den Angeboten des unterwegs e.V. im Rahmen der Transformationspartnerschaft des Auswärtigen Amts. Zunehmend wurden die neuen Kenntnisse in Aktivitäten umgesetzt. Sie organisieren Workshops, Vorträge, Kampagnen zu Demokratie und Menschenrechten. AMEDD, Partner des unterwegs e.V. in Douz organisierte mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung Gespräche zwischen politischen Parteien und den Bürgern über die Zukunft der Region. Auch wenn die einzelnen Organisationen klein sind und kaum Durchschlagskraft haben, so ist doch eine neue gesellschaftliche Szene entstanden. „Was mich besonders beeindruckt sind zwei Dinge“, meint Andreas Joppich. „Erstens das Gemeinschaftsgefühl unter den jungen Aktivisten. Egal ob sie aus dem wirtschaftlich starkem Norden oder strukturschwachen Regionen kommen, Männer oder Frauen sind, Künstler oder Techniker, sobald sie zusammenkommen spürt man diese intensive Verbindung. Und Zweitens die Kompetenzen, die diese jungen, nicht selten arbeitslosen Menschen sich durch Fortbildungen und während ihres Engagements angeeignet haben.“

Nach dem Tod von zwei Oppositionspolitikern und einem umstrittenen Verfassungsentwurf der Ennahda-Partei stand 2013 alles auf der Kippe. Die genannten Gruppierungen jedoch organisierten Bürgerproteste und zwangen die Regierung zum Rücktritt. Stattdessen wurde ein landesweiter Dialog mit verschiedensten zivilgesellschaftlichen Gruppen  durchgeführt. An dessen Ende stand eine Verfassung, die mit der erfolgreichen Wahl bestätigt wurde.

Diese positive Perspektive nahmen auch die Fachkräfte des Austauschprogramms wahr. „Tunesien ist ein kleines Land, aber es kann der Schlüssel für einen Kulturdialog mit der arabischen Welt sein“, meint Heidemarie Wünsche-Pietzka vom Europäischen Netzwerk der Dialogbegleiter/innen. Klaus Windolph meint: „Am Anfang war ich mir unsicher, wegen der politischen Lage. Aber die Sorge war unnötig. Das Land, die Menschen und vor allem die politische Bewegung haben mich fasziniert. Ich freue mich, wieder hierher zu kommen.“